Fleisch essen, Tiere lieben
Porkcamp ist eine Rückbesinnung darauf und ein Gegenentwurf zu dem, was in industriellen Schlachthöfen passiert: Die Tötung eines Tieres ist dort kein Fest, sondern ein tausend- und millionenfach wiederholter Routinejob.
Das Porkcamp war für alle Teilnehmer ein Test: Schließlich ging es um die eine, wichtigste Frage, die sich jeder Fleischesser irgendwann stellen muss: Kann man ein Tier so töten, dass es keinen Schmerz empfindet? Und will man, wenn man so etwas gesehen hat, anschließend noch Fleisch essen?
»Die Sau fällt sofort und lautlos um. Noch bemerkenswerter: Das zweite Schwein steht völlig entspannt daneben, grunzt und sucht mit der Schnauze auf dem Boden nach nicht vorhandenem Futter (…) Zu keinem Zeitpunkt habe ich das Gefühl, dass das Tier auch nur im Ansatz mitbekommt, dass es soeben stirbt. Ein Röcheln, ein Zucken des Beins, der langsam versiegende Blutfluss: Das zweite Schwein scheint sich für diesen Vorgang nicht mehr zu interessieren. Futter, das wäre interessant«, ¹²⁶ schrieb Siepert später in seinen Blog.
Fünf Schweinen ging es im Porkcamp an den Kragen. Nachdem die Tiere zerlegt waren, nahmen die Teilnehmer sich gruppenweise jedes einzelne Stück der Tiere vor. Die einen verarbeiteten Muskelfleisch, die Nächsten Innereien, die anderen das Blut. Die fünf Schweine wurden mit Stumpf und Stil aufgegessen. Zurück blieben vierzig sehr satte Porkcamp-Teilnehmer. Und eine Lektion:
»Ich habe gesehen, wie ein Schwein getötet wird, damit wir sein Fleisch essen können. Das bleibt hängen. Was aber auch hängen bleibt: Dass das kein barbarischer Akt sein muss, wenn nicht industriell geschlachtet wird, wenn Tiere als Nutztiere, aber nicht als Rohmaterial behandelt werden«, berichtete später ein Teilnehmer.
Wo immer über das Porkcamp geschrieben wird, fallen Worte, die altmodisch klingen: Respekt vor dem Leben, Respekt vor dem Tod. Es ist, begreife ich wieder, das »erwachsene Wissen«, von dem auch »Vegetarian Myth«-Autorin Keith spricht: Für alles, das lebt, muss etwas sterben. Wer Respekt vor diesem Grundsatz hat (der nichts und niemanden ausschließt), der geht achtsam mit anderen Lebewesen um. Die Idee des Porkcamps ist damit hochrelevant. Und bewirkt vielleicht sogar mehr als jener Fleischgegner, der sich nackt, in durchsichtige Folie gewickelt, in eine Plastikschale legte, um per Schock-Effekt gegen Fleisch aus dem Supermarkt zu protestieren (Platz 2 auf meiner Favoritenliste der Anti-Fleisch-Aktionen. Platz 1 ist ein von PETA organisiertes Schlammcatchen mit Tofu – zu sehen auf Youtube). Diese Aktionen arbeiteten mit dem schlechten Gewissen der Zuschauer. Siepert und seine Mitarbeiter machen etwas anderes: Sie stellen die Verbindung wieder her, die uns verloren gegangen ist. Es ist eine kleine Idee, die für alle, die daran teilhaben, eine gewaltige Lücke füllt.
»Der Augenkontakt, immer ein bisschen unheimlich, brachte die tägliche, lebendige Erinnerung daran, dass Tiere uns in entscheidender Weise ähneln und nicht ähneln, in ihren Augen sahen wir etwas unmissverständlich Bekanntes (Schmerz, Furcht, Mut), aber auch etwas unwiederbringlich anderes. Auf diesem Paradox bauten Menschen eine Beziehung auf, in der sie glaubten, sie könnten Tiere sowohl ehren als auch essen, ohne wegzuschauen. Aber dieses Konzept ist in sich zusammengebrochen, heutzutage schauen wir entweder weg oder werden Vegetarier«, schreibt Pollan. ¹²⁷
Sicher: So gut das Porkcamp als Idee ist, noch ist es eine Einzelveranstaltung, an der nur ein winziger Bruchteil der Bevölkerung teilnimmt. Ebenso wie mittlerweile nur noch ein kleiner Teil des Fleisches, das die Deutschen verzehren, von Metzgern stammt, die das Schwein, das sie verarbeiten, persönlich gekannt und getötet haben. Die meisten Metzgereien bekommen ihr Fleisch heute von den gleichen Betrieben, die auch Supermärkte beliefern. Das liegt nicht am Unwillen der Metzger, sondern am Konkurrenzkampf und an der Gesetzeslage: Es wird immer schwieriger, kleine Schlachtbetriebe aufrechtzuerhalten. Seit Anfang 2010 gilt die neue Hygieneverordnung der EU, die es kleinen Metzgereien noch schwerer macht: Wer es sich nicht leisten kann, in Umkleideräume und neue Kühlräume zu investieren, muss aufgeben.
Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass das Porkcamp Schule macht. Aber wer weiß: Lohas, Gourmets, Bioladen-Kunden, Anti-Konsumenten, kurz: Die bewussten Esser und Genießer, von denen es immer mehr gibt, könnten dafür sorgen, dass
Weitere Kostenlose Bücher