Fleisch und Blut 2: Thriller (German Edition)
glaubte sie nämlich noch den Galopp des Hengstes zu hören, der wie ein gespen stisches Echo in ihren Ohren widerhallte. Es dauerte immer eine Weile, bis sie schließlich erkannte, dass es nur das aufgebrachte Pochen ihres eigenen Herzens war, das sie in diesem Moment hörte.
Eines Herzens, das wieder neue Kraft schöpfte.
Erst danach verflog ihre Anspannung allmählich wieder – und mit ihr auch die Müdigkeit. Anfangs hatte sie sich noch dagegen gewehrt und versucht, wieder einzuschlafen. Sie hatte sich stundenlang im Bett hin und her gewälzt und darauf gewartet, dass erneut der Schlaf über sie kam.
Doch die Mühen waren immer umsonst gewesen:
Es war ihr kein einziges Mal gelungen.
Deswegen hatte sie es auch aufgegeben, es überhaupt erst weiter zu versuchen.
Stattdessen stand sie inzwischen sofort auf und schlich anschließend auf Zehenspitzen in die Küche des Hauses, um sich einen Tee zu machen. Denn Andy schlief nur einen Raum weiter und sie wollte den Jungen um keinen Preis aufwecken. Sie wusste, welche Schrecken er in den vergangenen Wochen durchgemacht hatte und dass er den Schlaf wahrscheinlich dringend brauchte, um allmählich darüber hinwegzukommen. Denn auch wenn er sich meist lebensfroh und heiter gab, so konnte sie dennoch hin und wieder einen traurigen Abglanz in seinem Blick erkennen.
Einen Abglanz, dachte Claire, der ihr sagte, dass der Junge längst nicht so fröhlich war, wie er sich vielleicht gab.
Claire wusste, dass sie aufpassen musste, dass diese Traurigkeit mit der Zeit nicht in eine tiefe Depression umschlug. Denn immerhin hatte Andy seine eigene Mutter gleich zweimal sterben sehen.
Und allein das , dachte Claire, war eine schreckliche Fügung des Schicksals, die nicht gerade alltäglich war.
Beim ersten Mal hatte er sie selbst erschossen. Und auch wenn er sie vielleicht nicht wirklich getötet hatte, so wusste Claire dennoch, dass es eigentlich keinen Unterschied machte.
Absolut nicht...
Denn zu diesem Zeitpunkt hatte er noch keinen blassen Schimmer davon gehabt, was wirklich in der Stadt vor sich ging. Er hatte den Abzug gedrückt und seiner eigenen Mutter mitten ins Gesicht geschossen. Und auch wenn es vielleicht in Notwehr geschehen war, dachte Claire, so änderte es wahrscheinlich nichts an der schrecklichen Gewissheit, den Menschen getötet zu haben, den man von allen am meisten liebte.
Mit Sicherheit nicht...
Das zweite Mal hatte er sie im Kugelhagel sterben sehen – kurz nachdem Claire und Peter das Feuer auf die Vampire eröffnet hatten.
Andy beteuerte zwar immer wieder, dass sie zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon längst tot gewesen war, doch Claire ahnte, dass diese Worte nur eine eigentümliche Art waren, sich selbst Trost zuzusprechen und die Tat zu rechtfertigen.
Es war der Versuch seines jungen Geistes, diesen ganzen Wahnsinn in irgendeiner Form greifbar zu machen. Denn nur wenn ihm das gelang, dachte Claire, würde der Tod seiner Mutter ein bisschen von seiner völligen Sinnlosigkeit verlieren.
Zwar nicht viel, aber immerhin...
Claire hoffte natürlich, dass ihm das gelang. Doch bis dahin, dachte sie, würde sie ihn ganz genau im Auge behalten. Sie würde über ih n wachen und dafür sorgen, dass er seinen Ängsten nicht völlig allein gegenüberstand.
Die Trauer konnte sie ihm natürlich nicht nehmen, - dafür aber Trost geben und Mut zusprechen. Und auch wenn Claire nicht wusste, ob das allein ausreichen würde, so hoffte sie es dennoch inständig.
Denn sie mochte den Jungen – sehr sogar.
Es waren immer die gleichen Gedanken, die sie in diesen frühen Morgenstunden heimsuchten, während sie durchs Haus schlich. Es kam ihr beinahe so vor, als würde ihr Unterbewusstsein immer wieder aufs Neue ein kurzes Briefing abhalten, um dafür zu sorgen, dass sie auf Kurs blieb.
Nachdem sie ihren Tee schließlich getrunken hatte, machte sie sich wieder auf den Weg und schlich weiter durch die Dunkelheit. Eiligen Schrittes ging sie zum kleinsten Raum des Hauses der zugleich auch so etwas wie das...
... Kinderzimmer war.
Leise öffnete Claire die Tür und trat anschließend an das kleine Kinderbettchen, das gleich neben dem Fenster stand. Und auch wenn es noch tiefste Nacht war und die Sonne erst in einigen Stunden aufgehen würde, so konnte Claire ganz genau den Abglanz der blaugrauen Augen erkennen, die ihr sofort aus dem Bettchen entgegenblickten.
Es waren...
... Georges Augen.
Daran bestand überhaupt kein Zweifel.
Es waren nachdenkliche Augen, in
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