Fleisch und Blut: Thriller (German Edition)
Frauenstimme, „dann wird dir etwas Schönes passieren, mein Schatz.“
Die Worte legten sich auf seinen Verstand, wie ein dichter Nebel. Die Stimme seiner Großmutter fegte darauf hin wieder durch seine Gedanken:
Die schlimmen Kinder werden gefressen.
Es gelang der Stimme jedoch nicht die Nebelschwaden zu lichten, in denen sich der Geist des jungen Mannes verlaufen hatte. Vie lmehr zogen ihn unsichtbare Fä den immer schneller in die Richtung des Waldes. Schließlich erreichte er den Rand der Lichtung.
„So ist es gut – und nun komm her!“
Bruchstücke seines Traumes flackerten in seinem Verstand auf, als er mit d em Arm das Dickicht beiseite schob. Und je mehr er von dem zu sehen bekam, was sich dahinter verbarg, wurde der Traum...
...dunkle Gestalten mit blutroten Augen, musterten ihn mit gierigen Blicken und bleckten die Zähne wie Hunde...
... immer mehr Realität.
Der Anblick schnürte ihm die Kehle zu. Er versuchte zu schreien, aber nur ein Röcheln entfuhr seinen Lippen. Die Gestalt in den Büschen zeigte sich nicht davon beeindruckt. Vielmehr schien sie sich an seiner Angst zu ergötzen.
Sie starrte ihn an, mit Augen, die rot waren und funkelten , wie Rubine, die man gegen das Kerzenlicht hielt. Ihre blasse Haut war von Stacheln und Dornen der Büsche in Fetzen gerissen. Darunter kräuselte sich das dunkle Geflecht aus Adern, in denen scho n längst kein Blut mehr floss. Sie war nackt und ihre Brüste hingen schlaff vom Körper, wie ausgedörrte Früchte. Ü berall auf ihrem Körper krochen Insekten und Maden und labten sich an ihrem toten Fleisch.
D as Herz des jungen Mannes setzte bei dem Anblick einen Schlag aus, nur um sich gleich darauf förmlich zu überschlagen. Er wollte sich vo n den glühenden Augen abwenden, über die We id e stürmen und verschwinden . Wollte laufen, so schnell und so weit ihn seine Füße trugen . Doch so sehr er es auch versuchte , es gelang ihm nicht, sich von der grauenhaften Fratze abzuwenden. Er konnte sich nicht mehr bewegen. Seine Glieder waren starr vor Angst.
Noch ehe er reagieren konnte, packte ihn die Kreatur am Hemd und zog ihn zu sich in die Dunkelheit. Das L etzte, was er sah, waren das Aufblitz en ihrer Zähne...
Lang, spitz und gebogen.
... bevor sie sich in seinen Nacken bohrten.
Der letzte Gedanke des jungen Mannes war, dass er die Frau in den Büschen kannte . Trotz all der Veränderungen, die mit ihr stattgefunden hatten, hatte er sie sofort erkannt. Diese Gewissheit sorgte dafür, dass jegliche Kraft aus seinem Körper wich und er sich seinem Schicksal ergab .
Die Kreatur , die sich an seiner Kehle festgebissen hatte, war die Frau eines Fischers aus der Stadt gewesen. L etztes Frühjahr war sie , von einem Tag auf den anderen, spurlos verschwunden. Des Abends schlief sie noch im Bett mit ihrem Mann und am nächsten Morgen war sie für immer weg.
E r hatte sich damals an der Suche nach ihr beteiligt, wie die meisten jungen Männer aus der Stadt. Sie hatten die Wälder durchstreift und die Schluchten in den Bergen abgesucht.
Ohne Erfolg .
Irgendwann hatte dann das Gerücht die Runde gemacht, sie sei ins Meer gefallen und er trunken. Dennoch hatten alle vergeblich darauf gewartet, dass ihr aufgedunsener Körper angespült wurde.
Doch jetzt war sie wieder da.
Sie war wieder da!
Kurz darauf versank en die Gedanken des jungen Mannes in einem blutroten Nebel und sein Herz hörte auf zu schlagen.
1.
Claire Hage n kämpfte mit den Tränen. Dr. John Harris beugte sich über den Schreibtisch und reichte ihr ein Papiertaschentuch.
„Bitte weinen Sie nicht“, sagte er, „dazu besteht überhaupt kein Grund.“
Claire wischte sich die Tränen aus den Augenwinkeln und verschränkte dann die Hände im Schoß. Ihre Finger verkrampften sich um das durchweichte Taschentuch und sämtliches Blut wich aus ihren Knöcheln, bis sie weiß waren, wie poliertes Elfenbein.
„ Was wird aus Amanda , Doktor Harris?“, fragte sie. Ihre Stimme zitterte und sie hatte Mühe damit, nicht erneut in Tränen auszubrechen.
Dr. Harris lehnte sich in seinem Ledersessel zurück und blickte an die Decke des Büros, so als stünde dort alles geschrieben , was er b rauchte , um Claire zu beruhigen.
Claire erkannte am Klang seiner Stimme, dass es sich bei seinen Wort en nur um eine Litanei handelte. Eine Abfolge von leeren Phrasen, mit der er für gewöhnlich seine Arbeit rechtfertigte.
„Ihre Schwester befindet sich in einem Zustand ausgesprochener Aufruhr.
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