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Fleischmarkt

Fleischmarkt

Titel: Fleischmarkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Penny
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intellektuellen Kraftakt vollbringen könnte, einen Marathon laufen oder eine Symphonie komponieren oder Eisenbahnschienen vernieten – während man sich in Wirklichkeit sozial und funktional nutzlos gemacht hat. Man hat die Arbeit der Selbstverneinung und des Konsumverzichts auf sich genommen, die eigentlich den perfekten Arbeiter aus dir machen sollte, den perfekten Studenten, die perfekte Ehefrau, aber indem man das getan hat, hat man seine Fähigkeit zu arbeiten, zu lieben oder in Gesellschaft gut zu funktionieren, zerstört.
    Und das sind nur die physiologischen Wirkungen von längerem Hungern.
    Genau auf diesen Zustand versucht unsere Gesellschaft, in der auf Bussen für Fettabsaugung geworben wird, mit ihren Diät-Imperativen und spindeldürren Models ihre stärksten Frauen und eine zunehmende Zahl junger Männer zu reduzieren. Die perverse und alles beherrschende Schlankheits-Rhetorik bewirkt eine Kapitulation der persönlichen Stärke, indem Scham und Disziplin des kapitalistischen patriarchalen Frauenbildes mit Gewalt und auf grausamste und verletzendste Weise über die Körper verfügt werden.

Persönlich versus politisch
    Mit dem Satz »Als ich magersüchtig war…« in einem Gespräch zu punkten, ist immer schwierig. Wie kann ich über den echten, chaotischen Schmerz von Zerrüttung und Wiederherstellung sprechen, ohne zu wirken, als wolle ich nur Aufmerksamkeit erregen? Das ist fast unmöglich, daher möchte ich eine Sache vollkommen klarstellen: Ich bin nicht stolz auf meine Magersucht. Wenn ich mich an die Jahre erinnere, die ich damit verschwendet habe, mich fast zu Tode zu hungern, empfinde ich nur Wut, Groll und Scham. Es war eine elende Zeit. Es gibt keine Bilder von mir aus dieser Zeit, und wenn es welche gäbe, dann würden Sie sie nicht sehen wollen, denn sie zeigen nichts Neues: Wir wissen heute alle, wie Magersucht aussieht. Ich war keine besondere und zerbrechliche Prinzessin. Ich war ein dummes, selbstmordgefährdetes Kind und habe meiner Familie fast das Herz gebrochen.
    Ich erzähle das nicht aus Masochismus, sondern weil jemand mal die Wahrheit sagen muss. Die Trivialisierung von Frauen mit Essstörungen in der Boulevardpresse – wo wir gleichzeitig als hilflose Opfer und dumme kleine Mädchen mit Berühmtheitsobsessionen dargestellt werden – schadet Frauen und Menschen jeden Geschlechts, die darum kämpfen, sich zu ernähren. Frauen sind keine machtlosen Geschöpfe ohne Einflussmöglichkeit, selbst in kulturellen Strukturen, wie hier beschrieben. Nur wenn diese Tatsache anerkannt wird, werden wir jemals volle Emanzipation als erwachsene Menschen erreichen oder uns selbst aus der Hölle der narzisstischen Selbstverneinung befreien können. Wir müssen die Verantwortung für unseren Part in der grausamen Maschinerie der erzwungenen weiblichen Hungerpsychose übernehmen. Alles andere würde bedeuten, dass wir uns als Opfer akzeptieren.
    Ich kann mich an den genauen Moment nicht mehr erinnern, in dem ich süchtig danach wurde, die Nahrungsaufnahme zu vermeiden. Mit 16 war ich unglücklich in der Schule, meine Eltern ließen sich scheiden, und das Drängen meiner Bedürfnisse, nicht nur nach Essen, sondern auch nach Liebe, Sex, Arbeit, Aufregung – ganz normale menschliche Bedürfnisse, die man mir als gefährlich und schlimm vermittelt hatte – machte mich krank.
    Ich beschloss, dass es einfacher wäre, mich dazu zu trainieren, überhaupt nichts mehr zu wollen. Zuerst verabschiedete ich mich von Schokolade und anderen Leckereien, dann von Kohlenhydraten und Milchprodukten, dann von Frühstück, Mittagessen und Abendessen.
    Als mein jugendlicher Babyspeck anfing zu schwinden, gratulierten mir Freunde und Familie zu meiner neuen Figur, was die Botschaft, dass gute Mädchen nicht essen, verstärkte. Ich fühlte mich leicht, rein und tugendhaft. Es fühlte sich gut an, und ich wollte mehr davon. Ich begann, nach der Schule stundenlang anstrengenden Sport zu treiben, um noch mehr Kalorien zu verbrennen, und kritzelte mir das Motto der Supermodels »Nichts schmeckt so gut, wie Dünnsein sich anfühlt!« in die Hand, das mich daran erinnern sollte, dass es ein Zeichen von Schwäche wäre, den schrecklichen Hungergefühlen nachzugeben. Zu dieser Zeit war ich 17 und lag im Krankenhaus, weil ich so unterernährt war, dass ich weniger wog als eine Vierjährige.
    Da Essstörungen mit der Mode in Verbindung gebracht werden, ist es leicht zu glauben, Anorexie sei eine glamouröse Krankheit, eine

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