Flesh Gothic (German Edition)
Westmore. »Er war ein Exzentriker. Ich habe gehört, dass er die Firma gekauft hat, weil ihm die Frauen gefielen, die dort arbeiteten.«
Tom lachte. »Ja, das würde ich auch als exzentrisch bezeichnen. ›Hallo, Süße, mir gefällt dein Arsch so sehr, dass ich deine Firma gekauft habe. Jetzt arbeitest du für mich.‹«
»So was in der Art, schätze ich.« Westmore zündete sich eine Zigarette an. »Wie sieht’s mit seiner Vorgeschichte aus?«
»Da gibt’s nicht viel zu finden. Geboren 1944 in Jersey, zwei Jahre später zogen seine Eltern nach Florida um – alles völlig unspektakulär. Durchschnittlicher High-School-Abschluss. Hab noch nicht tief genug gegraben, um Details zu seinem beruflichen Werdegang, sein Führungszeugnis und so weiter in die Finger zu bekommen. Reginald Hildreth gleicht einem weißen Fleck auf der Landkarte des Lebens, genau wie die meisten von uns Durchschnittsmenschen – bis Anfang der 1980er.«
»Was geschah dann?«
»Da wurde er reich. Die einzigen konkreten Hinweise auf seine deutlich verbesserte finanzielle Situation liefern allerdings seine bundesstaatlichen Steuerunterlagen. Jetzt kommt der Teil, der dich umhauen wird.«
»Leg los.«
»Zwischen 1981 und 1983 hat dein Mann 100 Millionen Dollar eingestrichen. Erst dachte ich, er muss ein Finanzgenie oder so gewesen sein – aber Mann, damit lag ich komplett falsch!«
»Wie ist er dann an die Kohle gekommen?«
»Durch Glücksspiel.«
Westmore runzelte die Stirn. »Mit Glücksspiel allein kann man keine 100 Millionen Dollar machen. Das ist verrückt.«
»Ich weiß, aber erzähl das mal deinem Mann. Während dieser beiden Jahre ging er in etwa 100 verschiedene Casinos rein, staubte in jedem etwa eine Million ab und spazierte wieder raus. Hat für jeden Gewinn brav seine Steuern gezahlt und ist weitergezogen.«
»So käme man in Las Vegas keine zwei Nächte weit. Man würde ihm überall Hausverbot erteilen.«
»Er ist in Las Vegas auch keine zwei Nächte weit gekommen. Dort hat er zwar einen siebenstelligen Betrag eingesammelt, dann ging’s aber direkt weiter nach Atlantic City und anschließend zu den größten Casinos in den Indianerreservaten von einem Dutzend unterschiedlichen Bundesstaaten. Danach kamen Costa Rica, Monte Carlo und so weiter und so fort. Niemand konnte etwas dagegen unternehmen, weil alles legitim war. Und der Scheißer gab wie gesagt jeden Dollar brav auf seiner Steuererklärung an, deshalb hat auch Vater Staat keinen Alarm geschlagen.«
Westmore schüttelte angesichts der absurden Umstände den Kopf. »War er ein Mathematikgenie? Besaß er ein fotografisches Gedächtnis?«
»Möglich, aber nicht wirklich feststellbar. Vielleicht hatte er einfach unverschämtes Glück. Oder er hat gemacht, was die meisten Spieler nie tun: Das Geld zu nehmen und aufzuhören, wenn’s gerade am besten läuft.«
»Ich weiß nicht recht. Das scheint mir ein bisschen viel Glück auf einmal zu sein«, merkte Westmore an.
»Du hast ja erst einen Teil der Geschichte gehört, wart’s mal ab. Aber was das Glücksspiel angeht – solche merkwürdigen Winke des Schicksals gibt’s immer mal wieder. So wie bei der Frau aus Ohio, die im selben Jahr beide staatlichen Lotterien gewonnen hat. Für deinen Mann allerdings kam das echte Glück erst nach seiner Siegessträhne.«
»Ich habe gehört, er war Investor.«
»Das war er – soweit ich weiß allerdings ohne klassische Ausbildung oder Erfahrung. Jedes Mal, wenn Hildreth den Jackpot in einem Casino knackte, bezahlte er seine Steuern und investierte den Rest in Aktien.«
»Bluechips?«
Ein Lachen am anderen Ende. »Dieser Kerl hat Anteile an spekulativen Garagenunternehmen gekauft, aber fast ausschließlich an solchen, denen später der große Wurf gelang. Microsoft, Apple, Bank of America, die Minibude, aus der später AOL hervorging – eine lange Liste. Alle erwiesen sich ein paar Jahre später als Senkrechtstarter – 1000 Prozent Gewinn an den Aktien, mehrere Übernahmen und Aktienteilungen. Derzeit ist der Kerl 1,4 Milliarden Dollar schwer.«
War er, berichtigte Westmore in Gedanken. Jetzt ist er tot. Aber stimmte das überhaupt? Westmore versuchte, eine professionelle Einstellung zu bewahren. Er hatte einen Auftrag angenommen. Er hatte eine Kundin, Vivica Hildreth, doch je angestrengter er versuchte, sich auf die Pflichten zu konzentrieren, für die er lächerlich gut bezahlt wurde, desto mehr Zweifel kamen in ihm auf. Was genau soll ich jetzt unternehmen? Es
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