Flesh Gothic (German Edition)
und betrachtete die junge Frau erneut. Sie wirkte dünn und irgendwie nuttig – abgeschnittene Jeans, Flipflops, Schlauchtop. Strähniges, dunkles Haar. »Wie alt sind Sie, um die 60?«
»57.«
»Nichts für ungut, Mann, aber die sieht wie eine 25-jährige Bordsteinschwalbe aus.«
»Das ist sie auch.«
»Na toll. Ein hochdekorierter Ex-Bulle ... der Nutten aufgabelt.«
»Ich habe eine Schwäche für Nutten. Hatte ich schon immer.« Clements sah ihn an. »Jeder hat irgendein Laster, oder? Nyvysk hat die Priesterschaft aufgegeben, weil er sich ständig in andere Priester verknallt hat. Adrianne Saundlund ist medikamentenabhängig. Cathleen Godwin ist sexsüchtig. Patrick Willis ist Pornojunkie. Jeder von uns hat sein Laster. Meins sind Nutten. Ich kann nichts dagegen tun.«
Westmore war ehrlich verblüfft. »Beeindruckend, wie viel Sie über die Leute in der Villa wissen, aber ich schätze, wenn man die Bude verwanzt hat, ist es ein Kinderspiel, solche persönlichen Informationen aufzuschnappen. Nur kennen Sie mich überhaupt nicht. Warum zum Henker erzählen Sie einem völlig Fremden so persönlichen Kram über sich? Sich mit Nutten einzulassen, ist nichts, worauf man stolz sein könnte. Für einen ehemaligen Bullen ist es noch eine ganze Ecke peinlicher. Warum erzählen Sie mir das?«
»Ich will, dass Sie mir vertrauen«, antwortete Clements, nippte an seinem Bier und zündete sich eine Zigarette an. »Übrigens habe ich in Vivicas Penthouse im Strauss Building eine noch bessere Wanze versteckt. Ein Funkmikrofon. Anders als bei der Villa muss ich nicht hingehen, um CDs zu wechseln. Durch diese Wanze habe ich mehr erfahren als durch die andere. Und das verrate ich Ihnen aus demselben Grund, aus dem ich so freimütig über meine persönlichen Schwächen plaudere. Damit Sie mir vertrauen. Sie könnten Vivica auf der Stelle anrufen, ihr von mir erzählen und sie über die Wanze aufklären. Und das ist ein strafrechtliches Vergehen, für das die Bundesbehörden zuständig sind. Dafür bekämen sie mich wirklich dran.«
Worauf du einen lassen kannst!, dachte Westmore.
»Ach ja, was das Mädchen angeht ...« Clements schaute zu der verlotterten jungen Frau, der er die Cola gebracht hatte. »Ja, sie ist eine Straßenhure, aber ich habe sie nicht deshalb mitgenommen. Ihr Name ist Connie und sie ist ... eine Freundin. Sie hilft mir, ich helfe ihr. Ich will ihr einen Platz in einer Entzugsklinik besorgen.«
»Und wie hilft sie Ihnen?«
Clements bedachte Westmore mit einem freudlosen Lächeln. »Sie ist einer der letzten Menschen, die Hildreth und diese Pornobräute lebend gesehen haben. Und sie ist einer der letzten Menschen, die Debbie Rodenbaugh zu Gesicht bekommen haben, als die noch unter uns weilte.«
Westmore ließ sich diese Auskunft durch den Kopf gehen, bevor er verstand. »Sie ist eine der Prostituierten aus dem Salon ...«
»Richtig. Sie wurde in der Nacht vor dem Gemetzel hochgenommen, sonst wäre sie ebenfalls dort gewesen und ihr wäre so wie den anderen der Kopf abgeschnitten worden. Sie weiß mehr über dieses Haus als Sie und ich zusammen.«
Westmore fühlte sich überrumpelt. Das kommt völlig aus heiterem Himmel . »Und der Grund, warum Sie möchten, dass ich Ihnen vertraue ist ... welcher?«
»Ich brauche Ihre Hilfe. Und man kann nie wissen, vielleicht könnten Sie auch meine brauchen. Wir sitzen beide im selben Boot, Kumpel. Wir versuchen beide, herauszufinden, was mit Debbie Rodenbaugh passiert ist. Lassen Sie uns an einem Strang ziehen.«
»Wieso interessieren Sie sich für Debbie Rodenbaugh?«, wollte Westmore als Nächstes wissen.
»Sie war mein letzter Fall. Ich hasse es, wenn ich versage, und in ihrem Fall habe ich eindeutig versagt. Dabei geht es um mehr als meinen Seelenfrieden. Ich habe das Mädchen zwar nie kennengelernt, trotzdem habe ich das Gefühl, ihr etwas schuldig zu sein. Ihre Eltern wurden ermordet, weil ich den Fall angenommen habe.«
»Welchen Fall? « Mittlerweile war Westmore eher gereizt als neugierig. »Was hat sie mit Ihnen zu tun? Ihre Eltern wurden nach meinen Informationen von Drogensüchtigen ermordet, die in ihr Haus eingebrochen sind. Es war ein Unfall.«
Clements schürzte leicht angewidert die Lippen. »Ihre Eltern wurden in Hildreths Auftrag ermordet. Er und dieses Miststück von Ehefrau haben sie eiskalt umbringen lassen. Die beiden hatten Debbie bereits in ihren Bann gezogen, deshalb fingen die Eltern an, unangenehme Fragen zu stellen. Wo trieb sie
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