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Flesh Gothic (German Edition)

Flesh Gothic (German Edition)

Titel: Flesh Gothic (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Lee
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durch seinen Kopf: Als das Ritual vorbei war, hatte der junge Mann den damals jüngeren, schlankeren und deutlich weniger zotteligen Nyvysk angelächelt. Ihre Blicke verschmolzen regelrecht miteinander. Die Lippen des Kurden hatten eine stumme Einladung geformt und seine Augen hatten ungeheuer verletzt gewirkt, als sich Nyvysk mit einem lauten Seufzer von ihm wegdrehte und ging.
    Nyvysk berührte sein Kreuz. Danke, Gott, dass du mir die Kraft gibst, mein Gelübde nie zu brechen ...
    Er wusste, dass kein Zusammenhang bestand, aber es machte den Anschein, als wäre seine bezwungen geglaubte Libido in den vergangenen Tagen wieder aufgeflammt – seit er den Brief von Vivica Hildreth erhalten hatte.
    Wohin er auch ging, überall schien ihm aus weit geöffneten Augen die Lust entgegenzustrahlen.
    Er biss sich auf die Unterlippe, fuhr weiter und beobachtete, wie der Junge im Rückspiegel zusammenschrumpfte.
    Eine Zeit lang dachte Nyvysk an gar nichts mehr.
    »Das kann es nicht sein«, murmelte er kurze Zeit später, bog aber trotzdem scharf nach links ab. Er wusste, dass er in Kürze auf die nördliche Interstate stoßen würde. Bis dahin konnte es nicht mehr viele Abzweigungen geben. Die Straße, die er suchte, war nicht in der Karte verzeichnet, immerhin gab es einen Telefonbucheintrag. Wahrscheinlich lachen sich die zwei von der Tankstelle gerade scheckig über den alten Kerl, den sie geleimt haben ... Doch als er den Glauben schon verlieren wollte, tauchte nach weniger als 30 Metern auf der Schotterstraße, in die er eingebogen war, ein krummes Schild auf: PROSPECT HILL ROAD. Wer ist auf die dämliche Idee gekommen, es hier aufzustellen? Wäre ja zu einfach gewesen, es an der Ecke zu postieren, wo man es auch sieht! Dann drängte ein anderer Gedanke in seinen Kopf.
    Vielleicht will man ja gar nicht, dass es gesehen wird ...
    Die Straße wand sich durch einen dichten Wald aus Trauerweiden und äußerst skurrilen, hochgewachsenen Kiefern. Ihm fiel keine einzige Palme auf, wie sie als typisch für Florida galten. Louisianamoos wucherte von den Ästen der Bäume entlang der Straße und schuf einen grünen Vorhang. Wer würde ein Haus – noch dazu eine Villa – mitten im Wald bauen? Die Fahrbahn schlängelte sich weiter den Berg hinauf und verengte sich. Zweige kratzten wie Skeletthände gegen die Seiten des Kastenwagens, breitere Äste erstreckten sich über den Pfad, verflochten sich ineinander und bildeten eine Art Tunnel, durch den nur vereinzelt Sonnenlicht drang. Bald war sich Nyvysk sicher, auf der falschen Straße gelandet zu sein, bis er schließlich auf eine grüne, von einem Ring aus Bäumen umgebene Lichtung gelangte.
    Und dort stand die Hildreth-Villa, als hätte sie auf ihn gewartet.
    Mein Gott, der Kasten ist ja riesig ...
    Nyvysk bremste, brachte den Wagen dann vollständig zum Stehen und starrte das Gebäude an. Seinem Blick präsentierte sich ein gewaltiges Bauwerk in gotischem Stil aus grauen Ziegeln, das sich über fünf Etagen erstreckte. Buntglasfenster funkelten wie bizarre, dunkle Juwelen; sonderbar platzierte Steinveranden schienen regelrecht in den dicken Mauern abzutauchen. Bestanden die hohen Eckpfeiler des Gebäudes tatsächlich aus Eisen? Kreaturen, bei denen es sich vermutlich um dekorative Wasserspeier handelte, kauerten wie entstellte Krähen auf komplexen Simsen. Erkerfenster mit schrägen Schieferdachvorsprüngen ragten aus dem Ost- und dem Westflügel des Erdgeschosses heraus und die Flanken des zentralen Teils der Villa säumten weitere Buntglasfenster, diesmal in Karoform. An beiden Seiten der Fassade erstreckten sich Brüstungen über schräge Mansardenfenster im oberen Stockwerk, bewehrt mit spitzen Firsten.
    Obwohl Nyvysk keinerlei übersinnliche Fähigkeiten besaß, spürte er die bösen Vorahnungen, die wie eine trübe Gewitterwolke über diesem Ort hingen.
    Etwa hundert Meter vor der Villa stieg er aus dem Wagen aus, um sie weiter zu begutachten. Das Gefühl in seiner Magengegend und der Anblick der Sonne, die von der höchsten Stelle des Gebäudes halb verdeckt wurde, weckten Erinnerungen an einen Aufenthalt in Jerusalem, unmittelbar nördlich des Damaskustors. Dort war ihm ein Exorzismus an einem Säugling gelungen. Als er anschließend zum Himmel blickte, war ihm unmittelbar über dem Gebiet, wo Jesus Christus vermutlich begraben worden war, eine ähnliche Düsternis aufgefallen. Jetzt schloss er die Augen, konnte das Sonnenlicht durch die Lider dabei nach wie vor sehen und

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