Flesh Gothic (German Edition)
Decke herabsinken. Sie schwenkte das Gefäß, das sie sich nur als ihren Kopf vorstellen konnte, und entdeckte Cathleen, die mit ihrer Tasche in der Hand verschiedene Räume inspizierte. Als sie sich endlich für ein Zimmer entschied und eintrat, schloss sie die Tür hinter sich, aber Adrianne schob sich mühelos durch deren Eichenholztäfelung.
Schwebend beobachtete sie das Geschehen, eine übernatürliche Spionin, eine mystische versteckte Kamera. Cathleen schien aus einem nicht ersichtlichen Grund angespannt zu sein und murmelte: »Oh Gott, was stimmt bloß nicht mit mir?« Dann legte sie sich auf ein hohes Himmelbett mit einer dicken Matratze. Die ist unersättlich!, dachte Adrianne, als sie sah, was die wollüstige Blondine tat. Aus ihrer Tasche hatte sie einige Gegenstände hervorgeholt: zwei Brustwarzenklemmen und einen Vibrator, der beängstigend realistisch einem männlichen Glied nachempfunden war. In verzweifelter Hast entblößte sie ihre vollen Brüste, brachte die kräftigen Klemmen an den Nippeln an und zog den Saum ihres Sommerkleids hoch. Sie verlor keine Zeit damit, sich mit dem Vibrator zu verwöhnen. Dabei knirschte sie mit den Zähnen und presste die Augenlider zusammen. Adrianne fühlte sich peinlich berührt, war zugleich jedoch verärgert. Cathleen flüsterte: »Bitte, bitte, bitte. Ich ... kann ... einfach nicht ... aufhören ...«
Der Vibrator verrichtete summend sein Werk. Hätte Adrianne in diesem Moment eine Stirn gehabt, sie hätte sie in Falten gelegt. Jetzt habe ich so ziemlich alles gesehen, was ich ertragen kann . Sie war froh, dass sie nicht Gedanken lesen konnte, denn Cathleen schossen im Moment sicher eine Menge perverse Fantasien und krankes sexuelles Zeugs durch den Kopf. Vermutlich beschwor sie zu ihrem Vergnügen die Erinnerung an unzählige Männer herauf, von denen sie sich in der Vergangenheit hatte benutzen lassen.
Doch Adrianne war zumindest ehrlich genug, um diesen einen Gedanken zuzulassen: Oh, was würde ich dafür geben ... Dann huschte sie aus dem Raum.
Nach einem Aufstieg durch weitere Decken und Bodenbretter gelangte sie mitten in einen trüb beleuchteten Saal im fünften Stock. Die Kapelle präsentierte sich gespenstisch still und mit völlig schwarzen Hartholzwänden. Natürlich gab es kein Kruzifix, dafür einen einzigen unangezündeten Leuchter vor einem Altar, in dessen Rückwand ein schlichtes umgedrehtes Kreuz geschnitzt war. Eine Kanzel befand sich gegenüber einiger Reihen hölzerner Sitz- und Kniebänke. Alles im gleichen deprimierenden Tiefschwarz. Die Umgebung wühlte Adrianne auf, deshalb zog sie sich zurück. Dabei erspähte sie einen Wasserbehälter mit leerer Silberschale. Daneben stand ein Regal mit mehreren Fächern, die zahlreiche Glasfläschchen mit Stopfen enthielten. In einer Kirche wären sie vermutlich voller Weihwasser gewesen. Hier schienen sie eher mit Sperma gefüllt zu sein.
Angewidert verließ Adrianne den Raum. Paranormale Kräfte hatte sie nicht gespürt, nicht einmal in Form von Rückständen. Der Ort löste lediglich Übelkeit in ihr aus.
Das Scharlachrote Zimmer , dachte sie als Nächstes und versuchte, sich zu konzentrieren. Sie schwebte vor den furnierten Türen. Auf dem Boden lagen mehrere von Nyvysks Ausrüstungsgegenständen, die sie auf Anhieb als Gauss-Monitore neuester Generation erkannte. Sie dienten dazu, Anstiege in der Ionenaktivität zu messen, die als Indikator für die Existenz übernatürlicher Kräfte galten. Allerdings sind sie nicht mal angeschlossen , stellte sie fest. Warum hat er sie nicht in dem Raum aufgestellt?
Es spielte keine Rolle – der technische Kram war seine Angelegenheit und Adrianne traute dem ganzen Krempel nicht über den Weg. Vorläufig sondierte sie lediglich das Terrain, sah sich um. Sie schwebte durch die Tür.
Und erstarrte.
Das Scharlachrote Zimmer trug seinen Namen zu Recht. Alles präsentierte sich in Rot: die Tapete, die Sockelleisten und Halbtäfelungen, sogar der Teppich. Verschiedene Stühle mit Gitterrückenlehnen, Kleiderständer aus der Zeit Eduards VII., Klapptische – alle rot furniert. Die Mitte des Raums war leer, was Adrianne irritierte. Der Anblick erinnerte sie an eine Bühne. Warum so viel freier Platz im Zentrum?, fragte sie sich.
Sie streifte herum, begutachtete die edle, aufwendige Tapete und die Holzarbeiten. Als sie glaubte, alles gesehen zu haben und sich schon zu langweilen begann ... wurde ihr plötzlich übel.
Nicht körperlich – schließlich hatte
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