Flesh Gothic (German Edition)
sie keinen physischen Körper. Vielmehr wurde ihrem schwebenden Geist übel. Ihre Sicht trübte sich.
Fiel sie etwa?
Einen Moment später befand sie sich woanders ...
Etwas Dunkles und zugleich Lichtähnliches stürzte auf ihre paranormalen Sinne ein. Ihre Seele fühlte sich von einer schwülen Hitze umgeben. Ein langer Schwindelanfall überkam sie, und als sie wieder scharf sehen konnte ...
Was in Gottes Namen ist das?
Gestalten bewegten sich vor etwas, das man nur als Tempel beschreiben konnte, aber statt aus Säulen und Stein bestand der Tempel aus ... Fleisch.
Gerillte Säulen säumten einen breiten Zierbogen, wobei jeder Steinblock aus einer fleischähnlichen Substanz zusammengesetzt zu sein schien. Stufen führten zu einem geschlossenen Eingang empor. Adrianne war sicher, dass es sich um einen Zugang handelte, weil sie einen Spalt zwischen zwei hohen Platten erkennen konnte und darin etwas Undefinierbares flackerte. Handelte es sich um Licht?
Hinter dem Hauptbogen befand sich eine Reihe dünnerer Säulen, die offensichtlich ebenfalls aus Fleisch geformt waren. Dazwischen standen Gestalten.
Adrianne erschrak, als sie genauer hinsah. Kreaturen mit losen Gelenken und dürren Gliedern starrten sie aus Gesichtern ohne Augen oder Nasen an. Kahle, klobige Köpfe ruhten schief auf breiigen Schultern, und in den Gesichtern prangten nur Münder, gesäumt von schmalen Lippen in der Farbe von Gartenschnecken. Die Gestalten waren nackt. Schweiß oder Öl schien an ihnen hinabzulaufen. Die Haut der Körper wirkte durchscheinend. Deformierte Genitalien hingen wie fahle Fleischlappen zwischen ihren Beinen.
»Eine Reisende«, ertönte eine Stimme von drinnen. Die Stimme strahlte wie ein rasendes Licht an diesem dunklen Ort. »Darf ich vorstellen: die Wächter des Chirice Flaesc.«
Adrianne kreischte in Gedanken auf und wollte ihren Geist zur Umkehr bewegen. Plötzlich fand sie sich etwas gegenüber, das sich von den abstoßenden Kreaturen entlang der Säulenreihe deutlich unterschied.
Es handelte sich um einen Mann oder zumindest etwas, das einem Mann ähnelte. Er hatte ein Gesicht, ein überwältigendes, gut aussehendes Gesicht mit Augen, die wie geschmolzene Smaragde loderten, und einem Lächeln, das ähnlich strahlend wirkte. Der Mann trug eine Tunika über deutlich definierten Muskeln, doch Adrianne wurde schlagartig mulmig zumute, als sie erkannte, dass auch das Gewand selbst aus von Adern durchzogener Haut bestand; anscheinend war es dieselbe Haut, die im gesamten, abscheulichen Tempel präsent war.
»Du bist hochinteressant«, meinte er und trat an der Säulenreihe vorbei. »Wir haben es hier so selten mit Reisenden zu tun.«
Wer bist du?, formte Adrianne mit ihrem Geist eine Frage.
»Jaemessyn«, rollte das seltsame Wort aus seinem Mund, als er antwortete.
Und ... und wie hast du diesen Ort genannt?
»Das Chirice Flaesc.« Die glimmenden Augen starrten sie an. Adrianne schauderte, als er eine Hand ausstreckte – keine gewöhnliche Hand. Plötzlich erkannte sie, dass die Glieder des prachtvollen Rumpfes nicht zum Rest passten – sie waren nicht menschlich. Sie wiesen tiefe Rillen, dunkle Flecken und hervortretende Sehnen auf. Noch abstoßender waren die Hände selbst: Jeder Finger bestand aus einem prallen, steifen Penis.
Er wies mit den Fingern auf die Säulenreihe. »Und das sind die Adiposianer. Sie bewachen diesen Tempel ... und warten.«
Worauf warten sie?
»Auf die äußerst raren Gelegenheiten, sich in die Welt der Lebenden hinauszuwagen und sie zu schmecken – die Welt deines Gottes. Aber das hier ... ist meine Welt.«
Adrianne versuchte, sich auf Jaemessyns Gesicht zu konzentrieren, was ihr jedoch schwerfiel. Sie bemühte sich, weitere Einzelheiten zu erkennen. Allerdings verursachte jede Anstrengung ihrer körperlosen Sicht eine ärgerliche Abfolge von Flackerbewegungen, als versuche sie, etwas durch Jalousien zu beobachten, die unablässig geöffnet und geschlossen wurden.
Mehrere der Kreaturen – Adiposianer hatte er sie genannt – spähten gesichtslos hinter den Fleischsäulen zu ihr heraus. Diejenige, die ihr am nächsten stand, trat vor, und Adrianne japste angewidert, als sie sah, wie sich die vage erkennbaren Genitalien, die an eine mit Schmalz gefüllte Wurstpelle erinnerten, zu einer Erektion aufrichteten.
Wie kann es mich sehen?, fragte sie Jaemessyn. Ich habe keinen Körper und dieses Ding hat keine Augen.
»Es spürt deine Begierde«, erklärte die Gestalt mit den
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