Fliegende Fetzen
sehr bemühen, um es richtig zu singen. Ich… Stimmt was nicht?«
»Oh, schon gut, Feldwebel«, sagte Angua. »Es passiert mir oft, daß ich einfach so zu lachen beginne.«
Fred Colon blickte erneut verträumt ins Nichts. »Vorher gehörte ich zur Mittelschweren Infanterie des Herzogs von Quirm. War viel los, damals.«
»Daran zweifle ich nicht«, erwiderte Karotte, während Angua zynischen Gedanken nachhing und sich fragte, wie groß der Abstand gewesen sein mochte, aus dem Fred Colon die damaligen Ereignisse beobachtet hatte. »Du scheinst viele angenehme Erinnerungen mit deiner langen militärischen Laufbahn zu verbinden.«
»Den Frauen gefiel die Uniform«, sagte Fred Colon mit dem unausgesprochenen Hinweis, daß ein heranwachsender Bursche jede Hilfe brauchte, die er bekommen konnte. »Und außerdem… äh…«
»Ja, Feldwebel?«
Colon wirkte verlegen, als bildete die gesammelte Unterwäsche der Vergangenheit plötzlich einen dicken Klumpen im Schritt der Erinnerung.
»Damals war es… einfacher, Herr Hauptmann. Ein Wächter zu sein, meine ich. Beziehungsweise ein Soldat. Man stand hier, und die anderen Burschen dort drüben waren der Feind. Man marschiert irgendwo auf, an einem Ort, wo genug Platz ist. Anschließend bezieht die Truppe Aufstellung in Form von Rechtecken, und dann gibt jemand mit bunten Federn am Helm den Angriffsbefehl, woraufhin aus den Rechtecken große Pfeile werden, und dann…«
»Bei den Göttern, geschieht so etwas tatsächlich? Ich dachte immer, so zeichnet man Schlachtpläne!«
»Nun, der alte Herzog ging immer wie nach dem Lehrbuch vor… Wie dem auch sei: Letztendlich geht es darum, sich den Rücken freizuhalten und auf jeden Burschen einzudreschen, der die falsche Uniform trägt. Aber…« Colon verzog gequält das Gesicht. »Wenn man Polizist ist… dann fällt es manchmal sehr schwer, die Guten von den Bösen zu unterscheiden, jawohl.«
»Es gibt doch auch
militärische
Gesetze, oder?« fragte Angua.
»Nun, ja. Doch wenn’s in Strömen regnet und man bis zu den Ei… bis zur Hüfte in toten Pferden steckt und wenn man unter solchen Umständen einen Befehl bekommt… dann kann man nicht in irgendeinem Regelbuch nachsehen, Verehrteste. Außerdem geht es in den meisten militärischen Gesetzen darum, wann es erlaubt ist, erschossen oder erschlagen zu werden.«
»Oh, ich bin sicher, daß noch mehr dahintersteckt, Feldwebel.«
»Da hast du vermutlich recht«, räumte Colon diplomatisch ein.
»Bestimmt geht es bei den betreffenden Gesetzen auch darum, keine feindlichen Soldaten zu töten, die sich ergeben haben.«
»Oh, ja, natürlich, das stimmt, Herr Hauptmann. Aber es kann natürlich nicht verboten sein, sie ein wenig hart ranzunehmen und ihnen etwas zu geben, an das sie sich später erinnern.«
»Du meinst doch nicht etwa
Folter
?« fragte Angua.
»Oh,
nein.
Aber…« Für Fred Colon führte die Straße der angenehmen Erinnerungen jetzt durch ein dunkles Tal. »Ich meine, wenn der beste Kumpel gerade einen Pfeil ins Auge bekommen hat und wenn überall um einen herum Pferde wiehern und Männer schreien und wenn man die Hosen voll hat vor Angst, ich meine, wenn man
wirklich
voller Angst steckt und dann auf den Feind stößt… Unter solchen Umständen verspürt man manchmal den Wunsch, ihm einen… kleinen Stups zu geben, sozusagen. Damit er in zwanzig Jahren an kalten Tagen ein dumpfes Prickeln im Bein spürt und sich an das erinnert, was er angestellt hat.«
Colon kramte in der Tasche, holte ein ziemlich kleines Buch hervor und hob es hoch.
»Dies gehörte meinem Urgroßvater«, sagte er. »Er nahm an dem kleinen Streit teil, den wir mit Pseudopolis hatten. Und meine Urgroßmutter gab ihm dieses Gebetbuch für Soldaten, weil ein Soldat alle Gebete gebrauchen kann, die es gibt, glaubt mir, und er steckte es in die oberste Tasche seiner Jacke – einen Brustharnisch konnte er sich nicht leisten –, und am nächsten Tag beim Kampf… Plötzlich kam ein Pfeil aus dem Nichts – zack! –, bohrte sich ins Buch und hielt erst an der letzten Seite. Das Loch ist ganz deutlich zu erkennen.«
»Eine Art Wunder«, kommentierte Karotte.
»Ja, ich glaube, so kann man es nennen«, pflichtete ihm Colon bei. Er blickte kummervoll auf das kleine Buch hinab. »Bei den anderen siebzehn Pfeilen hatte mein Urgroßvater nicht soviel Glück.«
Das Trommeln verklang in der Ferne. Die Wächter vermieden es, sich anzusehen.
Dann ertönte eine gebieterische Stimme: »Warum trägst du
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