Fliegende Fetzen
Disorganizer. Eines Tages, so wußte er, würde ihm tatsächlich nichts anderes übrigbleiben, als zu versuchen, das Handbuch des verdammten Dings zu verstehen. Entweder das, oder er würde es von einer hohen Klippe werfen. 9
»Was…«, begann er und stöhnte erneut. Er erinnerte sich gerade an ein dumpfes Knirschen, das vom Stoff des entrollten Turbans ausging, als er ihn mit seinem Gewicht belastete.
»Sam?« Die Schlafzimmertür öffnete sich, und Sybil kam mit einer Tasse herein.
»Ja, Schatz?«
»Wie fühlst du dich?«
»Ich habe blaue Flecken auf den blauen Fle…« Noch eine Erinnerung kletterte aus der Grube der Schuld. »Lieber Himmel, habe ich ihn wirklich einen Haufen Sch… genannt?«
»Ja«, bestätigte seine Frau. »Fred Colon kam heute morgen vorbei und hat mir alles erzählt. Seine Beschreibungen waren sehr anschaulich. Ich bin mal mit Ronnie Rust ausgegangen. Gehört zur kühlen Sorte.«
Noch eine Erinnerung platzte wie eine Blase Sumpfgas in Mumms Kopf.
»Hat Fred dir erzählt, daß er Rust aufgefordert hat, sich seine Dienstmarke dorthin zu stecken, wo die Sonne nie scheint?«
»Ja. Dreimal. Diese Tatsache schien einen großen Teil seiner Aufmerksamkeit zu beanspruchen. Nun, wie ich Ronnie kenne, braucht er einen Hammer dazu.«
Mumm hatte sich schon vor einer ganzen Weile daran gewöhnt, daß sich die Angehörigen der Aristokratie gegenseitig beim Vornamen nannten.
»Und hat dir Fred sonst noch etwas gesagt?« fragte er zaghaft.
»Ja. Er erzählte auch vom Lokal, dem Feuer und so weiter. Ich bin stolz auf dich.« Sybil gab ihm einen Kuß.
»Was mache ich jetzt?« brachte Mumm hervor.
»Trink erst einmal deinen Tee. Anschließend wäschst und rasierst du dich.«
»Ich sollte zum Wachhaus gehen und…«
»Waschen und Rasieren! Im Krug ist warmes Wasser.«
Als Sybil gegangen war, stand Mumm auf und wankte ins Badezimmer. Auf dem marmornen Becken stand tatsächlich ein großer Krug mit warmem Wasser.
Er betrachtete das Gesicht im Spiegel. Unglücklicherweise gehörte es ihm. Wenn er sich zuerst rasierte… dann konnte er jene Teile wegspülen, die übrigblieben.
Fragmente der vergangenen Nacht zogen immer wieder an seinem inneren Auge vorbei. Das mit dem klatschianischen Wächter tat ihm leid, aber manchmal konnte man sich nicht genug Zeit nehmen, die Dinge zu erklären…
Er bedauerte jetzt, daß er sich einfach so von seiner Dienstmarke getrennt hatte. Die Zeiten hatten sich geändert. Er trug jetzt
Verantwortung.
Er hätte im Amt bleiben und dafür sorgen sollen, daß alles etwas weniger schlimm wurde…
Nein. So etwas funktionierte nie.
Er schaffte es, den Seifenschaum im Gesicht zu verteilen. Die Aufruhrakte! Bei den Göttern… Vorsichtig ließ er die Rasierklinge über die Wange gleiten. Rusts trübe Augen blickten aus seinen Erinnerungen. Mistkerl! Männer wie er hielten die Wache tatsächlich für eine Art Schäferhund, dessen Gebell den Schafen den richtigen Weg zeigte und der es auf keinen Fall wagte, den Schäfer zu beißen…
O ja. Mumm wußte ganz genau, wo der Feind steckte.
Aber…
Ohne seine Dienstmarke war er kein Wächter mehr und konnte nichts ausrichten…
Noch eine Erinnerung regte sich, etwas später als die anderen.
Seifenschaum tropfte auf Mumms Hemd, als er Vetinaris versiegelten Brief hervorholte und ihn mit dem Rasiermesser öffnete.
Im Innern befand sich ein leeres Blatt Papier. Er drehte es hin und her – weder auf der einen noch auf der anderen Seite stand etwas geschrieben. Verwundert betrachtete Mumm den Umschlag.
Sir Samuel Mumm, Ritter.
Nett von dem Patrizier, so genau zu sein, dachte er. Aber welchen Sinn hatte es, eine Mitteilung zu schicken, die überhaupt nichts mitteilte? Andere Leute hätten vielleicht geistesabwesend ein leeres Blatt in den Umschlag gesteckt, aber Lord Vetinari sicher nicht. Warum schickte er einen Brief, in dem er Mumm daran erinnerte, daß er ein Ritter war? Diese peinliche Tatsache war ihm durchaus bewußt…
Eine weitere Erinnerungsblase zerplatzte, nicht lauter als bei einer Maus, die während eines Orkans Luft aus ihrem Darm entweichen ließ.
Wer hatte davon gesprochen? Jeder Gentleman…
Mumm starrte ins Nichts. Er hatte doch den Status eines Gentlemans, oder? Es war offiziell.
Er gab
keinen
Schrei von sich, und er lief nicht los. Statt dessen beendete er die Rasur, wusch sich und wechselte in aller Ruhe die Unterwäsche.
Unten hatte Sybil eine Mahlzeit für ihn vorbereitet. Sie war keine besonders
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