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Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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antwortete der Arzt barsch. »Ich habe die Leiche noch nicht untersucht, aber der Kerl ist tot, mausetot, und zwar seit Stunden. Nach den Spuren am Hals unter der schwarzen Schicht zu urteilen, wurde er erwürgt.«
    »Natürlich«, sagte Adamsberg besänftigend, »das hatte ich nicht gemeint.«
    Er sammelte ein wenig von dem schwarzen Pulver auf, das sich auf dem Boden verstreut hatte, rieb es zwischen den Fingern und wischte seine Hände dann an der Hose ab.
    »Kohle«, murmelte er. »Der Typ wurde mit Kohle eingerieben.«
    »Es sieht ganz danach aus«, bemerkte ein Mann von der Spurensicherung.
    Adamsberg sah sich um.
    »Wo ist seine Kleidung?« fragte er.
    »Sauber zusammengelegt im Schlafzimmer«, antwortete Devillard. »Die Schuhe stehen unter dem Stuhl.«
    »Nichts zerstört? Kein Einbruch?«
    »Nein. Entweder hat Laurion dem Mörder aufgemacht, oder der Kerl hat das Schloß in aller Ruhe mit einem Dietrich geöffnet. Ich glaube, wir halten uns an die zweite Möglichkeit. Wenn's so gewesen ist, macht uns das die Dinge leichter.«
    »Ein Fachmann, nicht?«
    »Ganz genau. Schlösser wie ein Profi zu öffnen, lernt man nicht auf der Schule. Der Typ war bestimmt im Knast, und zwar für ein ganzes Weilchen, nur so hatte er Zeit, sich die nötigen Kenntnisse anzueignen. In diesem Fall ist er in der Kartei. Wenn er hier auch nur den kleinsten Fingerabdruck hinterlassen hat, haben Sie ihn in Null Komma nichts. Etwas Besseres kann ich Ihnen nicht wünschen, Adamsberg.«
    Drei Beamte der Spurensicherung durchsuchten schweigend die Wohnung: Einer nahm sich die Umgebung des Toten vor, der andere das Schloß, der dritte sämtliche Möbelstücke. Adamsberg ging langsam durch das Wohnzimmer, dann besichtigte er das Bad, die Küche, das kleine, aufgeräumte Schlafzimmer. Er hatte Handschuhe angezogen und öffnete mechanisch die Schranktür, den Nachttisch, die Schubladen der Kommode, des Schreibtischs, der Anrichte. Auf dem Küchentisch, dem einzigen Ort, an dem eine gewisse Unordnung herrschte, blieb sein Blick auf einem großen elfenbeinfarbenen Umschlag haften, der quer auf einem Stapel mit Briefen und Zeitungen lag. Er war mit einer raschen Bewegung glatt aufgeschlitzt worden. Er betrachtete ihn lange, ohne ihn anzufassen, und wartete darauf, daß das Bild auf seinen Befehl hin aus seinem Gedächtnis aufstieg. Das Bild war nicht weit weg, es würde nur ein oder zwei Minuten dauern. So unfähig Adamsbergs Gedächtnis war, Eigennamen, Titel, Marken, Orthographie, Syntax und all das zu registrieren, was mit Geschriebenem zu tun hatte, so sehr übertraf es sich, was Bilder anging. Adamsberg war ein hochbegabter Augenmensch, der das Schauspiel des Lebens vollständig erfaßte, vom Licht der Wolken bis zu dem an Devillards Ärmel fehlenden Knopf. Sehr deutlich tauchte das Bild wieder auf. Decambrais bei seinem Besuch der Brigade, wie er ihm gegenübersaß und den Stoß mit ›Speziellen‹ aus einem dicken elfenbeinfarbenen Umschlag zog, der überdurchschnittlich groß und mit blaßgrauem Seidenpapier gefüttert war. Es war der gleiche Umschlag wie der, der jetzt auf dem Zeitungsstapel vor seinen Augen lag. Er winkte dem Fotografen, der mehrere Aufnahmen davon machte, während Adamsberg auf der Suche nach dem Namen des Mannes sein Notizbuch durchblätterte.
    »Danke, Barteneau«, sagte er dann.
    Er nahm den Umschlag und öffnete ihn. Er war leer. Er ging den Stapel mit der unerledigten Post durch und überprüfte jeden einzelnen Umschlag. Alle waren mit dem Finger geöffnet worden und enthielten noch ihren Inhalt. Im Mülleimer fanden sich neben dem mindestens drei Tage alten Müll zwei zerrissene Umschläge und mehrere zerknüllte Blätter, aber keines, dessen Format dem elfenbeinfarbenen Umschlag entsprach. Er stand auf und wusch nachdenklich seine Handschuhe unter dem Wasserhahn. Warum hatte der Mann den leeren Umschlag aufbewahrt? Und warum hatte er ihn nicht mit dem Finger geöffnet wie alle anderen?
    Er ging in das Wohnzimmer zurück, wo die Männer ihre Arbeit inzwischen beendet hatten.
    »Kann ich gehen, Kommissar?« fragte der Gerichtsmediziner, der offenbar nicht wußte, ob er sich an Devillard oder an Adamsberg wenden sollte.
    »Gehen Sie«, antwortete Devillard.
    Adamsberg beförderte den Umschlag in einen Plastikbeutel und übergab ihn einem der Beamten.
    »Das muß mit dem Rest ins Labor«, sagte er. »Dringender Sonderfall.«
    Eine Stunde später verließ er das Gebäude, als die Leiche abtransportiert wurde, und

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