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Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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kleine Entlohnung vorgelesen werden. Dreimal täglich leert der Ausrufer den Kasten und ruft dann aus.«
    »Das ist doch völlig bescheuert«, sagte eine Stimme.
    »Vielleicht, aber es funktioniert«, bemerkte Adamsberg. »Es ist nicht bescheuerter, Worte zu verkaufen als Blumen.«
    »Oder Bulle zu sein«, sagte eine Stimme links von ihm.
    Adamsberg machte den Mann ausfindig, der gerade gesprochen hatte, ein kleiner Grauhaariger mit Zweidrittelglatze, der breit lächelte.
    »Oder Bulle zu sein«, bestätigte Adamsberg. »Die Nachrichten von CLT sind für das breite Publikum, ja für das gesamte Publikum unverständlich. Es handelt sich um kurze Auszüge aus alten Büchern, auf französisch oder sogar lateinisch, die in großen elfenbeinfarbenen Umschlägen in die Urne geworfen werden. Die Texte wurden mit einem Drucker erstellt. Einen Mann vor Ort, der sich recht gut mit alten Büchern auskennt, hat das so beschäftigt, daß er versucht hat, mehr darüber herauszufinden.«
    »Name? Beruf?« fragte ein Oberleutnant mit einem geöffneten Notizblock auf den Knien.
    Adamsberg zögerte eine Sekunde.
    »Decambrais«, antwortete er. »Rentner und Berater in Lebensfragen.«
    »Sind die da etwa alle durchgeknallt?« fragte jemand.
    »Schon möglich«, sagte Adamsberg. »Aber das ist eine Frage der Optik. Solange man etwas aus der Ferne betrachtet, scheint eigentlich immer alles in Ordnung. Sobald man sich nähert und sich die Zeit nimmt, auf die Details zu achten, entdeckt man, daß alle mehr oder weniger irre sind auf diesem Platz, auf einem anderen, an sonst einem Ort und auch in dieser Brigade.«
    »Damit bin ich nicht einverstanden«, protestierte Favre laut. »Um Blödsinn auf einem Platz herumzuschreien, muß man doch wirklich krank sein. Soll der Kerl doch mal ordentlich in die Muschel rotzen, das wird ihn auf andere Gedanken bringen. In der Rue de la Gaîte zahlst du dreihundert Mäuse, und das öffnet sich ganz von allein.«
    Gelächter. Adamsberg ließ seinen Blick ruhig über die Reihen schweifen, und das Lachen erstarb. Er sah den Brigadier an.
    »Favre, ich sagte gerade, es gibt Irre in dieser Brigade.«
    »Sagen Sie mal, Kommissar!« begann Favre mit gerötetem Gesicht und sprang auf.
    »Halten Sie die Klappe«, bemerkte Adamsberg schroff.
    Überrascht setzte sich Favre sofort wieder, wie schockiert von dem Zusammenprall. Schweigend wartete Adamsberg ein paar Sekunden mit verschränkten Armen.
    »Ich hatte Sie schon einmal gebeten nachzudenken, Favre«, sagte er dann bedächtiger. »Ich bitte Sie ein zweites Mal. Sicherlich haben Sie ein Hirn, suchen Sie es. Falls Sie dabei scheitern, werden Ihre Entgleisungen zukünftig außerhalb meines Blickfeldes und außerhalb dieser Brigade stattfinden müssen.«
    Er wandte sich ab, betrachtete den großen Stadtplan und fuhr fort:
    »Diesem Decambrais ist es gelungen, die Bedeutung der von CLT eingeworfenen Botschaften zu entschlüsseln. Alle stammen aus alten Abhandlungen über die Pest oder aus einem Tagebuch, das über sie berichtet. Einen Monat lang hat sich CLT auf die Beschreibung der Vorzeichen beschränkt. Dann hat er das Tempo erhöht und am vergangenen Samstag die Ankunft der Pest in der Stadt im ›Viertel Rousseau‹ verkündet. Drei Tage später, das heißt heute, wird die erste Leiche in einem mit Vieren gekennzeichneten Gebäude entdeckt. Das Opfer ist der junge Besitzer einer Autowerkstatt, alleinstehend, solide, ohne Eintrag im Strafregister. Die Leiche ist nackt, und die Haut des Toten ist mit schwarzen Flecken bedeckt.«
    »Der ›Schwarze Tod‹«, sagte eine Stimme, dieselbe, die sich zuvor besorgt nach der Todesursache erkundigt hatte.
    Adamsberg entdeckte einen schüchternen jungen Mann mit noch rundlichen Zügen und grünen, sehr großen Augen. Neben ihm erhob sich eine Frau mit einem groben, verdrossenen Gesicht.
    »Kommissar«, sagte sie. »Die Pest ist eine schrecklich ansteckende Krankheit. Nichts beweist uns, daß dieser Mann nicht an der Pest gestorben ist. Aber Sie haben vier Beamte an den Tatort mitgenommen, ohne auch nur den Bericht des Gerichtsmediziners abzuwarten.«
    Nachdenklich stützte Adamsberg das Kinn auf die Faust. Diese außerordentliche Informationsversammlung wurde zu einer Veranstaltung, die etwas von einem Initiationsritus hatte, mit Wortgefechten und Provokationsversuchen.
    »An der Pest erkrankt man nicht durch Kontakt«, erklärte Adamsberg. »Es ist eine Krankheit der Nagetiere, insbesondere der Ratten, die über den Biß

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