Fliehe weit und schnell
kürzen, ohne es zu kennzeichnen. Außerdem sind ›17. August‹, ›14. September‹ und ›Quartier Rousseau‹ in einer anderen Schrift getippt. Bestimmt hat er die ursprünglichen Daten und den wirklichen Ort des Textes verändert und hebt seine Entstellungen hervor, indem er die Schrift wechselt. Meiner Meinung nach.«
»Heute ist der 14. September, nicht wahr?« fragte Adamsberg, der sich auf ein, zwei Tage Differenz nie ganz sicher mit dem Datum war.
»Ganz richtig. Das bedeutet schlicht und einfach, daß dieser Verrückte uns ankündigt, daß die Pest heute in die Stadt Paris gelangt ist und getötet hat.«
»Rue Jean-Jacques Rousseau.«
»Glauben Sie, das ist der anvisierte Ort?«
»Ich habe ein mit Vieren gekennzeichnetes Haus in dieser Straße.«
»Was für Vieren?«
Adamsberg hielt Decambrais für ausreichend in die Sache verwickelt, um ihn über die andere Seite der Betätigungen seines Verkünders informieren zu können. Er merkte allerdings, daß Decambrais, so kultiviert er auch war, anscheinend nichts über die Bedeutung dieser Vier wußte, ebensowenig wie der gebildete Danglard. Das Schutzzeichen war also nicht sehr bekannt, und der Typ, der es benutzte, mußte verdammt beschlagen sein.
»Jedenfalls können Sie die Angelegenheit jetzt ohne mich weiterverfolgen, als Dokumentation für Ihre Lebensfragen«, sagte Adamsberg abschließend. »Das wird ein hübsches Stück in Ihrer Sammlung werden - für Sie wie für die Annalen des Ausrufers. Was hingegen das Risiko eines Verbrechens betrifft, so können wir den Kerl, glaube ich, vergessen. Er hat eine andere, rein symbolische Kurve genommen, wie mein Stellvertreter sagen würde. Denn in der letzten Nacht ist in der Rue Jean-Jacques Rousseau nichts geschehen, genausowenig wie in den anderen betroffenen Häusern. Dafür malt unser Mann weiter. Soll er, solange er will.«
»Um so besser«, bemerkte Decambrais nach kurzem Schweigen. »Lassen Sie mich Ihnen sagen, daß es mir eine Freude war, Sie näher kennenzulernen, und seien Sie mir nicht böse, daß Sie meinetwegen Zeit verloren haben.«
»Im Gegenteil. Ich schätze den wahren Wert der verlorenen Zeit.«
Adamsberg legte auf und beschloß, daß sein samstäglicher Arbeitstag beendet war. Die Kladde enthielt nichts, was nicht bis Montag warten konnte. Bevor er sein Büro verließ, konsultierte er sein Notizbuch, um den Gendarmen aus Granville mit Namen anzusprechen.
Inzwischen drang die Sonne erneut durch die dünner gewordenen Wolken, und die Stadt begann zögernd, sich wieder etwas sommerlicher zu gebärden. Er zog die Jacke aus, warf sie sich über die Schulter und ging langsam in Richtung Fluß. Die Pariser schienen oft zu vergessen, daß sie einen Fluß hatten. Auch wenn die Seine verdreckt war, war sie mit ihrem trägen Dahinfließen, ihrem Geruch nach feuchter Wäsche und ihrem Vogelgeschrei doch ein Zufluchtsort für ihn.
Während er in aller Ruhe durch die schmalen Straßen lief, sagte er sich, daß es ganz gut war, daß Danglard seinen Calvadosrausch zu Hause ausschlief. Es war ihm lieber, die Sache mit den Vieren ohne Zeugen begraben zu haben. Danglard hatte recht gehabt. Aktionskünstler oder symbolbesessener Irrer - der Verrückte mit den Vieren drehte sich als ein freies Rädchen in einem Universum, mit dem sie nichts zu tun hatten. Adamsberg hatte die Partie verloren, aber es war ihm egal, um so besser. Er legte keinen falschen Stolz in diese Konfrontationen mit seinem Stellvertreter, aber er wußte es zu schätzen, daß seine Kapitulation in aller Stille erfolgt war. Am Montag würde er ihm sagen, daß er sich getäuscht hatte und daß die Vieren sich in der Welt der Anekdoten zu den Riesenkäfern von Nanteuil gesellen würden. Von wem hatte er diese Geschichte? Von dem Fotografen, dem Typen mit den Sommersprossen. Wie hieß der noch gleich? Er erinnerte sich nicht mehr.
16
Am Montag verkündete Adamsberg Danglard das Ende des Falls mit den Vieren. Als Mann von Welt gestattete Danglard sich keinerlei Kommentar und begnügte sich mit einem Nicken.
Am Dienstag wurde Adamsberg um Viertel nach zwei durch einen Anruf aus dem Kommissariat des 1. Arrondissements über die Entdeckung einer Leiche in der Rue Jean-Jacques Rousseau 117 informiert.
Er legte mit äußerster Langsamkeit den Hörer auf, so wie man es mitten in der Nacht tut, wenn man niemanden wecken will. Aber es war mitten am Tag. Und er versuchte nicht, den Schlaf der anderen zu schützen, sondern selbst
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