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Fliehe weit und schnell

Fliehe weit und schnell

Titel: Fliehe weit und schnell Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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einzuschlafen, sich geräuschlos in den Zustand des Vergessens zu befördern. Er kannte diese Momente, in denen ihn seine eigene Natur derart beunruhigte, daß er darum betete, sich eines Tages in einem Refugium aus Stumpfsinn und Ohnmacht zusammenrollen zu können, um es nie wieder zu verlassen. Diese Momente, in denen er gegen jede Vernunft recht behalten hatte, waren nicht seine besten. Sie überwältigten ihn für kurze Zeit, als spürte er plötzlich die lastende Bürde einer unheilvollen Begabung, die ihm eine etwas vertrottelte böse Fee bei seiner Geburt verliehen hatte, indem sie sich über seine Wiege gebeugt und die Worte gesprochen hatte: »Da ihr mich zu dieser Taufe nicht eingeladen habt« - was nicht weiter verwunderlich war, da seine Eltern, arm wie die Kirchenmäuse, seine Geburt tief in den Pyrenäen allein gefeiert und ihren Sohn in eine warme Decke gewickelt hatten -, »da ihr mich zu dieser Taufe nicht eingeladen habt, schenke ich diesem Kind die Gabe, eine große Schweinerei immer dann vorauszuahnen, wenn noch kein anderer sie wahrgenommen hat.« Oder irgend etwas in dieser Art, nur besser formuliert, denn die böse Fee war schließlich nicht der letzte Analphabet und auch keine ungehobelte Person, keinesfalls.
    Diese Momente des Unwohlseins waren von kurzer Dauer. Zum einen, weil Adamsberg nicht die geringste Absicht hatte, sich zusammenzurollen, da es ihn den halben Tag lang drängte, zu laufen, und den anderen halben Tag, zu stehen, zum anderen, weil er über keinerlei Begabung zu verfügen glaubte. Was er vorausgeahnt hatte, als das mit den Vieren begonnen hatte, war letzten Endes nur logisch gewesen, wenn seine Logik auch nicht so schön nachvollziehbar war wie die von Danglard und er sich nicht in der Lage sah, ihre nicht faßbare Funktionsweise zu erläutern. Es schien ihm offensichtlich, daß diese Vieren von Anfang an als Drohgebärden geplant waren, so deutlich, als hätte ihr Urheber auf die Türen geschrieben: »Ich bin da. Schaut mir zu, und seht euch vor.« Es war offensichtlich, daß die Bedrohung zugenommen hatte und eine wirkliche Gefahr zu werden schien, als Decambrais und Le Guern gekommen waren, um ihm zu berichten, daß seit demselben Tag ein Pestverkünder umging. Es war offensichtlich, daß sich der Mann in einer Tragödie gefiel, die er eigenhändig inszenierte. Es war offensichtlich, daß er nicht auf halbem Weg stehenbleiben würde, es war offensichtlich, daß dieser mit so viel melodramatischer Detailversessenheit angekündigte Tod wahrscheinlich zu einer Leiche führen würde. Es war logisch gewesen, so logisch, daß Decambrais es genauso gefürchtet hatte wie er.
    Die ungeheuerliche Inszenierung, ihr Bombast, ihre Komplexität verwirrten Adamsberg nicht. In all ihrer Seltsamkeit hatte sie fast etwas Klassisches, etwas, das für einen seltenen Mördertypus, der von einem kolossalen, verhöhnten Stolz getrieben wurde und sich auf einen Sockel schwang, der seiner Erniedrigung und seinem Ehrgeiz entsprach, geradezu exemplarisch war. Weniger offensichtlich, ja unverständlich war, warum er auf die alte Vorstellung von der Pest zurückgegriffen hatte.
    Der Kommissar des 1. Arrondissements war ganz sicher gewesen: Nach den ersten Informationen der Beamten, die die Leiche entdeckt hatten, war der Körper schwarz.
     
    »Wir fahren los, Danglard«, sagte Adamsberg, als er am Büro seines Stellvertreters vorbeiging. »Trommeln Sie die Einsatzmannschaft zusammen, wir haben eine Leiche. Der Gerichtsmediziner und die Männer von der Spurensicherung sind unterwegs.«
    In solchen Momenten konnte Adamsberg eine ziemliche Schnelligkeit entwickeln, und Danglard beeilte sich, die Männer zusammenzutrommeln und ihm zu folgen, ohne ein Wort der Erklärung bekommen zu haben.
    Der Kommissar ließ die beiden Oberleutnants und den Brigadier hinten im Wagen Platz nehmen und faßte Danglard am Ärmel.
    »Einen Augenblick, Danglard. Wir sollten die Männer nicht zu früh beunruhigen.«
    »Justin, Voisenet und Kernorkian«, sagte Danglard.
    »Es ist also geschehen. Die Leiche befindet sich in der Rue Jean-Jacques Rousseau. Gerade erst waren zehn Wohnungstüren in dem Haus mit spiegelverkehrten Vieren gekennzeichnet worden.«
    »Scheiße«, sagte Danglard.
    »Das Opfer ist ein Mann, um die Dreißig, ein Weißer.«
    »Warum sagen Sie ›Weißer‹?«
    »Weil sein Körper schwarz ist. Seine Haut ist schwarz, geschwärzt. Seine Zunge auch.«
    Danglard runzelte die Stirn.
    »Die Pest«, sagte er.

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