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Fliehganzleis

Fliehganzleis

Titel: Fliehganzleis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederike Schmöe
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gestritten. Nicht ernst. Nichts Dramatisches. Nach meiner Haft hatten wir an die alte Leidenschaft nicht mehr anknüpfen können. Etwas war zerstört. Es gab Brüche. Kleine Risse in unseren Gesprächen. Kein Zank. Nur … «
    »Ich verstehe.«
    »Ich hoffte, dass in den Notizen meiner Mutter Namen stünden. Leute, die ich nach so langer Zeit noch ansprechen könnte.« Alex rieb sich das totenblasse Gesicht. »Ich wollte einen Blog einrichten. Den Opfern eine Stimme geben. Es gibt so viele Opfer, denen nicht einmal ein Gerichtsverfahren Genugtuung verschaffen kann, weil das, was ihnen angetan wurde, juristisch nicht zu greifen ist! Dann tauchte plötzlich mein Vater auf.«
    Ich starrte ihn verdutzt an. »Wo tauchte er auf?«
    »Im Schloss. Vor neun Tagen. Am 27. August. Er stand einfach im Salon, in diesem scheußlichen Zimmer, das so gar nicht zu Larissa passt.«
    »Wusste Ihr Vater, dass Sie in Rothenstayn sein würden?«
    »Ich hatte ihn angerufen. Manchmal rief ich an. Nur so. Weil man doch Anschluss sucht an die eigenen Leute. Ich rief an und redete mit ihm. Wir haben nie gestritten. Er hat auch nie versucht, schönzureden, was er mir angetan hat.«
    »Ihr Vater reiste nach Rothenstayn? Am selben Abend? Das kann nie im Leben Zufall gewesen sein!«
    »Er war schon ein paar Tage dort«, sagte Alex. »Bevor ich kam. Er nahm ein Zimmer in einem anderen Städtchen, 50 Kilometer weiter.«
    »Das macht doch nur Sinn, wenn er ahnte, was Sie vorhatten!«, warf ich ein. Ich schätzte, Alex hatte genau das durchblicken lassen. Hatte es sich nicht verkneifen können, seinem Vater zu signalisieren: Wir haben etwas gegen dich in der Hand. Du wirst büßen.
    »Wir standen im Salon. Larissa und ich. Und er. Er hat Geld aus der Tasche gezogen und damit um sich geworfen … « Alex fuhr sich durch das Haar. Es war nun ganz nass und lag glänzend an seinem schmalen Schädel. Er sah krank aus.
    »Welches Schweigen hätte er sich kaufen sollen, Alex? Ihr Vater wird davonkommen. Wegen Katjas Tod wird es keine Mordanklage geben. Auch Simona weiß das.« Alex oder Larissa musste das Geld wieder aufgesammelt und den einen Hundert-Euro-Schein übersehen haben, den Martha Gelbachs Leute im Grünen Salon gefunden hatten.
    Tränen liefen Alex über die Wangen. »Ich bin auf ihn losgegangen. Plötzlich war etwas in mir, das ist zerrissen, richtig zerfetzt, irgendwo tief drin. Ich bin auf ihn los. Habe ihn am Hals gepackt, ihn gegen die Wand gepresst und angeschrien.« Er keuchte. »Ich hätte ihn umgebracht. Das hätte ich getan. Aber Larissa brachte mich aus dem Konzept. Sie war ganz sachlich, redete einfach. Ich ließ ihn los. Kurz nur. Wir standen einander gegenüber. Und dann schnappte er sich den Kerzenleuchter von der Anrichte und hechtete auf mich. Larissa warf sich dazwischen. Und er schlug auf ihren Kopf. Nicht auf meinen. Auf ihren! Nur einmal, aber so brutal, dass das Blut spritzte. Sie fiel hin. Lag leblos. Die Arme und Beine eingeknickt. Wie eine Puppe.«
    Er jaulte wie ein Hund. Ruderte mit den Armen und lief auf das Meer zu. Ich packte seine Jacke und hielt ihn fest. Aus Bansin kam jemand in unsere Richtung. Einer, der seinen Hund ausführte.
    »Er schlug voller Hass zu«, flüsterte Alex. »Der Schlag galt mir. Er wollte mich treffen. Mich endlich loswerden. Wenn Larissa den Mund gehalten, sich nicht gerührt hätte, ihr wäre nichts passiert.«
    Ich schluckte. Mein Atem ging schnell. »Warum haben Sie Larissa nicht geholfen?«
    »Ich warf mich über sie. Da war so viel Blut. Blut überall. Es sickerte aus ihrem Kopf. Und dann wurde alles schwarz.«
    Ich wusste nicht, ob ich ihm das abkaufen sollte. Tatsächlich wirkte Alex nicht wie einer, der die Traute hatte, sich einem Angreifer entgegenzustellen oder der versuchte, mit Hilfe der Vernunft die Situation unter Kontrolle zu kriegen.
    »Als ich zu mir kam … da war niemand mehr da. Mein Vater nicht und Larissa auch nicht. Nur Blut. Eine Blutspur. Ich habe gedacht, er hat sie umgebracht, und dann bin ich gelaufen, gelaufen, gelaufen … «
    Ich drehte mich um. Der Hundemann war näher gekommen. Ein ungeschlachter, dicker Typ, hässlich wie sein Pitbull. Einer mit der klassischen Visage des lateinamerikanischen Diktators.
    Auch Alex sah zu dem Mann hin. »Du?«, sagte er tonlos.
    Der Dicke kam noch näher.
    Ein Gesicht wie Pinochet.
    Dudumm, dudumm, machte mein Herz.
    Reinhard Finkenstedt, der Ideologe, der Kader, der Mann, der Katja in den Tod geschickt und seinen eigenen

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