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Fliehganzleis

Fliehganzleis

Titel: Fliehganzleis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederike Schmöe
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Sohn für mehr als 15 Jahre hinter Gittern hatte schmoren lassen.
    Ich blickte von Alex zu Reinhard.
    Keine Ähnlichkeit.
    Die scheinbar so widersprüchlichen Aussagen der Rothenstayner Zeugen bekamen jetzt ihren Sinn. Der eine hatte Alex gesehen, ihn für eine Frau gehalten. Dem anderen war Reinhard begegnet. Womöglich kurz hintereinander. Beide waren zu Fuß auf dem Weg zum Schloss. Reinhard auf den Fersen seines Sohnes. So erklärten sich die scheinbar widersprüchlichen Angaben der Zeugen.
    Der Hund zerrte an seiner Leine. Reinhard Finkenstedt griff in seine Anoraktasche. Ich wusste schon, was passieren würde. Er hatte eine Knarre drin. Da war der Hund, das Meer toste, niemand war unterwegs, niemand würde etwas sehen oder hören.
    Instinktiv wich ich ein paar Schritte zurück. Blickte nach oben, den Steilhang hinauf, sah dort in der zunehmenden Dunkelheit die Bäume sich wiegen. Gegenüber, auf dem Meer, erkannte man vereinzelt die Positionsleuchten von Schiffen, und weit hinten, im Südosten, die Lichter auf der polnischen Seite der Bucht.
    »Ein paar Dinge müssen zurechtgerückt werden«, sagte Reinhard Finkenstedt, die Hand immer noch in der Tasche. »Weil Sie sich so für Larissa einsetzen.« Er sah mich an. »Das ist löblich, sehr löblich. Aber haben Sie sich gefragt, wie Larissa Roth so schnell aus der Haft freikam und in den Westen ausreisen konnte? Haben Sie das?«
    Der Hund riss an der Leine, knurrte, hob die Lefzen.
    »Weil sie unterschrieben hat!« Er gluckste vor Lachen.
    »Was meinen Sie?«, fragte ich, starr vor Angst.
    »Wir haben ihr ein Angebot gemacht. Das konnte sie nicht ausschlagen.«
    »Was für ein Angebot?«
    »Sie durfte ausreisen. Aber sie musste sich im Gegenzug verpflichten, für uns zu arbeiten. Das hat sie getan.«
    »Zu … arbeiten?«, echote ich.
    Alex heulte auf. Der Hund begann zu kläffen.
    »Sie hatte wirklich gute Kontakte zu Binders Komplizen. Wir erhofften uns von ihr konkrete Angaben. Die Herrschaften im Westen würden ihr vertrauen, wenn sie nur auf möglichst abenteuerliche Weise in die BRD käme.«
    »Dann war die Flugzeugtour eine Farce?«
    »Wir hatten doppelten Gewinn«, lachte Reinhard Finkenstedt. »Denn wir bekamen eine Informantin, die in die engsten Zirkel der Fluchthilfe vordringen konnte. Und wir erhielten Infos über die Flugzeugtour und konnten dem Treiben am Flughafen in Prag ein Ende bereiten.«
    »Herr Finkenstedt«, begann ich und ging noch ein paar Schritte rückwärts. »Ich … «
    »Ich hätte Sie suchen sollen«, sagte er kalt. »Im Park, neulich. Ich ahnte, dass jemand zu Besuch war, ich sah den Wagen mit dem auswärtigen Kennzeichen vor der Tür. Bin durch den Park gestreift, nachdem mein hasenfüßiger Sohn längst getürmt war. Aber ich fand Sie nicht. Nicht schnell genug, und ich wollte schleunigst weg. Das verstehen Sie sicher.«
    Mein Körper begann zu zittern.
    »Alex«, flüsterte ich. »Warum haben Sie Ihren Vater nicht angezeigt? Sie waren Zeuge des Angriffs!«
    »Das hätte er vielleicht noch getan. Aber er ist ein Angsthase. Er scheißt sich in die Hosen vor Angst! Besser, wir finden zu einem gemeinsamen Ende.« Reinhard Finkenstedts Stimme klang nach Aas. »Verlierer!«, knurrte er Alex an. »Du bist selbst schuld. Selbst bist du an allem schuld!«
    »Mutter wusste es, nicht wahr?«, stammelte Alex. »Sie wusste, dass du Katja auf dem Gewissen hast.«
    Ich entfernte mich rückwärts von ihnen. Vielleicht konnte ich mich nach ein paar Metern in der Dunkelheit absetzen. Die Steilküste hinaufklettern, durch den Sand, dem Hund einen Ast oder einen Stein auf den Kopf knallen. Da war doch Nero, irgendwo da draußen in der Wirklichkeit. Zu dem wollte ich zurück. Noch eine Frau durch die Hand eines Kriminellen zu verlieren, konnte ich ihm nicht zumuten. Ich gelobte, in Sachen Nero Nägel mit Köpfen zu machen. Wenn ich nur weiterleben durfte.
    Reinhards Hand steckte immer noch in der Anoraktasche.
    »Du hast Mutter nie auch nur ein bisschen ernst genommen!«, tobte Alex. »Für dich war sie im Leben nicht existent, und im Tod auch nicht. Die Pflege ihres Grabes zahle ich . Du warst nicht einmal auf dem Friedhof! Du hast überhaupt nicht kapiert, dass sie dich hasste. Sie hat dich wirklich gehasst, … Vater!«
    Wie er ›Vater‹ sagte, zerriss mir das Herz. Er war über 50, ein erwachsener Mann mit seinen eigenen Kämpfen, Siegen und Niederlagen, und er suchte immer noch die Anerkennung seines Altvorderen. Wahrscheinlich aus diesem

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