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Fliehkräfte (German Edition)

Fliehkräfte (German Edition)

Titel: Fliehkräfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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seiner Rückkehr sitzt sie angeschnallt auf dem Beifahrersitz, als könnte sie die Abfahrt kaum erwarten. Der Duft einer Frauenseife füllt den Innenraum. Nervös zupft sie an ihren feuchten Haaren.
    »Sie sind Holländerin? Hab ich das richtig rausgehört?«, fragt Hartmut, nachdem er gewohnheitsmäßig einmal an den Rückspiegel gefasst hat, ohne dessen Einstellung zu verändern.
    »Aus Enschede. Marijke Meulenbeld, und ich werde nicht von der Polizei gesucht, jedenfalls noch nicht. Volljährig bin ich auch schon eine Weile. Sie machen sich nicht strafbar, wenn Sie mich mitnehmen.«
    »Okay.«
    »Meulenbeld mit eu«, fügt sie hinzu, weil sie es Mölenbeld ausgesprochen hat. Im selben Moment, in dem Hartmut den Motor anlässt, erklingt in ihrer Tasche die Melodie von Ain’t no sunshine when she’s gone . Seufzend beugt sie sich nach vorne und zieht ihr Handy hervor.
    »Sind Sie sicher, dass Sie das wollen?«, fragt er.
    »Bin ich nicht.« Sie stellt den Ton aus. »Und die Melodie hab ich auch nicht ausgesucht.«
    »Bis zum Ortsausgang können Sie es sich noch anders überlegen, dann kehr ich um und bringe Sie zurück. Danach nicht mehr.«
    »Hab ich schon danke gesagt? Nein. Danke.«
    Hartmut rollt vom Parkplatz und lenkt den Wagen zurück zur Hauptstraße. Vor einem Campingplatz wird frisches Obst verkauft, ansonsten hat das Leben auf den Straßen noch nicht begonnen. Kinder bolzen auf einem Platz mit zu hohem Rasen.Am Ortsausgang biegt Hartmut links ab, ostwärts und zurück Richtung Llanes.
    »Ich nehme an, Sie haben es nicht eilig«, sagt er und bekommt ein gleichgültiges Nicken zur Antwort. Spät am gestrigen Abend, bevor er aufgebrochen ist in die Bucht, hat er noch einmal die Karte betrachtet und Marias und seine damalige Route rekonstruiert. Quer durch die Picos de Europa sind sie gefahren, und auf der anderen Seite der Berge weiter nach León. Die Namen der kleinen Orte entlang der Strecke lösten ein vages Echo in seiner Erinnerung aus. Die will er heute auffrischen. Den dafür notwendigen Umweg nimmt er in Kauf.
    »Obwohl ich seit vielen Jahren in Bonn lebe«, verkündet er gegen die Stille im Auto, »bin ich erst ein einziges Mal in den Niederlanden gewesen. In Rotterdam vor einigen Jahren. Amsterdam zum Beispiel kenne ich überhaupt nicht. Meine Tochter war dort, letztes oder vorletztes Jahr. Hat ihr gut gefallen.«
    »Ich bin erst vor zwei Jahren dahin zurückgezogen«, antwortet sie, bevor ihr Handy das nächste Geräusch von sich gibt, diesmal einen leisen Gong, der Marijkes Blick aufs Display lenkt. Was sie auf Holländisch murmelt, versteht Hartmut nicht.
    »Wo haben Sie davor gelebt, wenn ich fragen darf.«
    »Eine Weile in Berlin, kurz in Birmingham. Hier und da. Die meiste Zeit war ich mit einer Band unterwegs, ohne festen Wohnsitz.«
    »Sie machen Musik?«
    »Ich war für die Planung zuständig. Transport, Unterkünfte und Gagen, wenn wir eine bekommen haben.«
    »Also die Managerin.«
    »So ähnlich. Der Bassist war mein Freund und die Band semiprofessionell. Punk eben.«
    »Punk. Okay.« Auf Nachfrage erfährt er, dass sie Mitte der Neunzigerjahre ihr Studium abgebrochen hat, um sich auf Wanderschaft zu begeben. Zwei oder drei Jahre hätte das dauern sollen, dann seien es zehn geworden. Am Rand der Schnellstraßekommen ihnen Pilger entgegen, in kleinen Gruppen, zu zweit oder einzeln. Die Landschaft hat die Seiten gewechselt: links das Meer, rechts streckt sich ein Vordach aus dichten Wolken über die Berge. Ain’t no sunshine when ... meldet Marijkes Handy, bevor sie den Anruf wegdrückt und das Gesicht in Hartmuts Richtung wendet, ohne den Kopf von der Sitzlehne zu lösen. Er riecht einen Hauch von Zahnpasta.
    »Und Sie? Sie mögen Musik, hab ich gestern am Strand gedacht.«
    »Ich mag Jazz und lebe vergleichsweise beständig. Als Professor für Philosophie. In Bonn, wie Sie bereits wissen.«
    »Cool«, sagt sie nüchtern. »Was für Philosophie?«
    »Sprachphilosophie hauptsächlich. Sie waren noch nicht fertig. Warum sind Sie zurückgegangen nach Holland, nach so vielen Jahren?«
    »Ich war pleite und hatte keinen Job. Auch keine Lust, nach einem zu suchen. Die Band gab es schon eine Weile nicht mehr. Dann hab ich meinen Bruder besucht zu seinem vierzigsten Geburtstag, und er hatte Platz in der Wohnung. Ich hab mein Leben nie geplant, sondern einfach gemacht, wonach mir der Sinn stand. Das war meine Philosophie.«
    »Und auf einmal stand er Ihnen nach Rückkehr.«
    »Sie reden nicht

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