Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fliehkräfte (German Edition)

Fliehkräfte (German Edition)

Titel: Fliehkräfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
Vom Netzwerk:
gemeinsam verbrachte Jahre sich zu dem Glauben verdichten, dass es immer so bleiben wird. Dass sich etwas in ihm und ihr dem ständigen Wandel entzieht. Oder spürt er bloß einen Rest jener alten Verwunderung, dass sie tatsächlich seine Frau geworden ist?
    »Du weißt doch, sie schläft wie ein Stein.« Er streicht mit einer Hand über ihre Brust, aber es ist zu spät. Nicht mehr vonLust verschleiert, sondern klar und ein bisschen spöttisch richtet sich Marias Blick auf ihn. Die Macht der kleinen Tyrannin, hat sie es neulich genannt.
    »Du hast recht.« Sie sieht auf ihre Armbanduhr. »Jetzt muss ich runter, sonst wird das Mittagessen nie fertig. Gegrillte Sardinen. Zwei Kilo für viereinhalb Personen.«
    »Du magst keine Sardinen.«
    »Spielt keine Rolle, ich bin nur die Tochter. Du magst sie, hast du gestern behauptet. War mir auch neu.«
    »Weil ich wusste, dass deine Mutter schon eingekauft hatte. Was ist los, Maria? Irgendwas bedrückt dich, und es ist nicht dein Vater.«
    Sie nickt geistesabwesend und greift nach seinem Buch auf dem Beistelltisch. Ein bisschen schwerer ist sie geworden, aber sie sitzt selten auf seinem Schoß, also verlagert er unauffällig das Gewicht und zieht sie dichter zu sich heran. Drückt das Gesicht an ihren Hals.
    »Was heißt Montauk?«, fragt sie.
    »Ein Ort an der äußersten Spitze von Long Island. Was der Name bedeutet, weiß ich nicht. Irgendwo steht, dass er indianisch ist.«
    »Gut?«
    »Ziemlich. Ich bin noch am Anfang. Zwischendurch denke ich, dass Lesen eigentlich zu anstrengend ist. Dass ich nur hier sitzen und auf die Hügel schauen sollte.«
    Maria überfliegt den Klappentext und legt das Buch zurück. Gegen seinen Willen denkt er, dass Sandrine jetzt gesagt hätte: Tell me about it. Professor zu werden war ein hart erarbeiteter Triumph, und in manchen Momenten glaubt er zu spüren, dass ein Teil der Erschöpfung ihn nie mehr verlassen wird. Dass etwas sich aufgezehrt hat, was nicht ersetzt werden kann. Mit anderen Worten, dass er kein junger Mann mehr ist, unwiderruflich.
    »War ich sehr unausstehlich in den letzten Wochen?« Sie fragt mit dem Blick in der Ferne, und er schüttelt den Kopf.
    »Es war eine Enttäuschung. Aber so wie die Dinge im Moment in Bewegung sind, bei den vielen Neuberufungen, die es gibt, stehen die Chancen nicht schlecht, zumindest mittelfristig. Wer hätte damals gedacht, dass ich die Stelle in Bonn bekomme.«
    »Jetzt hast du sie.«
    »Ja. Es wird nie wieder so sein wie davor. Keine Zeitverträge, keine Miesen auf dem Konto. Ich bin Professor, das können sie mir nicht mehr nehmen.«
    »Und ich bin undankbar.«
    »Wir müssen einfach Geduld haben.« Soll er ihr sagen, dass er gelegentlich die Immobilien-Angebote im Generalanzeiger studiert und zu dem Schluss gekommen ist, ein Haus lasse sich finanzieren? Als Professor kriegt er überall Kredit, außerdem hat Artur in einem Gespräch unter Männern versichert, vom Verkauf der Restaurants sei noch Geld übrig. Seit der Bundestag den Umzug beschlossen hat, sind die Preise in Bewegung geraten. Jetzt wäre der perfekte Zeitpunkt.
    »Wir sollten uns nicht zu sehr unter Druck setzen«, sagt er. »Die Warterei das ganze Frühjahr über hat uns nur zusätzlichen Stress gebracht. Dabei sind wir gar nicht abhängig.«
    »Geduld haben«, flüstert sie, als gelte es, in einem Text die wichtigsten Wörter zu unterstreichen. »Mittelfristig.«
    »Unsere eigenen Entscheidungen treffen. Zum Beispiel eine, die wir schon lange aufgeschoben haben.« Darauf will sie etwas erwidern, aber er legt ihr einen Finger auf die Lippen und hält sie fest. »Ich weiß! Wir haben gesagt, wir warten, bis wir da sind, wohin wir wollen, aber ... warum eigentlich? Was spricht jetzt dagegen? Philippa ist vier.«
    »Es ist nie schwerer als beim Warten. Ich meine, Geduld zu haben.«
    »Wenn die Wohnung zu klein wird, ziehen wir eben um.«
    »Ist das ein spontaner Gedanke?«
    »Neulich meinte sie selbst, alleine Memory spielen ist langweilig. Sie will jemanden, gegen den sie gewinnen kann.« Erlacht und küsst seine Frau auf den Hals. Ihr Ton könnte ein bisschen heiterer sein, findet er. »Merkst du, wie sie Carla und Luisa beneidet? Wo ist sie eigentlich?«
    Mit dem Kinn weist Maria über das Dorf. In der neuen Hälfte stehen einige halb fertige Häuser, heller und größer als die Bauten im alten Teil. Leute kommen aus Lissabon oder dem Ausland zurück und errichten ihre Alterssitze, jedes Jahr ein paar mehr. In Arturs Fall war

Weitere Kostenlose Bücher