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Fliehkräfte (German Edition)

Fliehkräfte (German Edition)

Titel: Fliehkräfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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einem Kompromiss mit dem Institut arbeitet ... was heißt eigentlich ›das Dekanat‹? Der Dekan?«
    »Die Dekanin.«
    »Verstehe. Die will eine Frau.« Er hätte gerne auf sein Bücherregal geschaut, aber Marias Blick hing an ihm mit einerstummen Frage, die sich wie von selbst in ungute Gewissheit verwandelte. Hatte er nicht längst selbst etwas geahnt? War es ihm nicht merkwürdig vorgekommen, auf einmal auf Platz eins der Bewerbungsliste zu stehen für eine C4-Professur dort, wo alle hinstrebten? Hartmut Hainbach aus Arnau. Er wollte ihn nicht zulassen, aber der Gedanke war da, ungerufen.
    »Vor allem will sie dich nicht«, sagte Dietmar.
    »Oh, ist das so? Was hab ich ihr denn getan?«
    »Keine Ahnung. Hast du dich nicht informiert über die Verhältnisse hier?«
    »Informiert? Die Bewerbung fiel mitten in meinen Start hier in Bonn. Ich hab die Ausschreibung gesehen, hab einen Anruf von Simon bekommen und meine Sachen losgeschickt. Ohne große Hoffnung, ehrlich gesagt. Was für Verhältnisse?«
    Dietmar seufzte, aber betrübt wirkte er nicht, im Gegenteil. Ein Anflug von Schadenfreude hatte sich in seine Stimme geschlichen.
    »Die Dekanin ist Frau Professor Anne Saalbach.« Kurze Pause. »Du hast das nicht gewusst, oder?«
    »Nein.« Hartmut versuchte zu lächeln, aber es gelang ihm nicht. Maria konnte ihm bestimmt ansehen, dass er bemüht war, sich nichts anmerken zu lassen. Anne Saalbach. Er hätte schwören können, dass ihm der Name zum ersten Mal seit Jahren durch den Kopf ging. Es dauerte eine Weile, bis das Gesicht Konturen annahm und einen Ausdruck bekam. Nach dem Ende der Affäre waren sie einander mehrmals pro Woche im Flur aus dem Weg gegangen. Bis Anne die Stelle gewechselt und das Telefunken-Hochhaus verlassen hatte.
    »Bist du noch dran?«, fragte Dietmar.
    »Dachtest du, ich springe aus dem Fenster? Was heißt das jetzt? Ich meine, es gibt eine Kommission, es gibt die Liste, es gibt ein geordnetes Verfahren, oder nicht? Ist in Berlin plötzlich die Clan-Herrschaft ausgebrochen?« Seine Stimme klang ärgerlich, und beinahe wunderte ihn das. In der Kehle saß ihm ein Lachen, das er nicht rauslassen wollte. Anne Saalbach. Für dichgibt es wichtigere Dinge als mein Unglück. Gab es für sie nichts Wichtigeres, als ihm die Karriere zu vermasseln?
    »Du bist Professor, Hartmut. Muss ich dir erklären, wie Universitäten funktionieren? Anne weiß, dass ihre Macht nicht ausreicht, um einfach die Nummer zwei durchzusetzen, aber vermutlich kann sie die Stelle neu ausschreiben lassen. Irgendein Verfahrensfehler findet sich immer. Dann hat sie Zeit gewonnen, und du hast ... tja. Du musst dir überlegen, was für dich das Beste ist. Natürlich wird hier gemauschelt, was ist da los, was steckt dahinter? Anne ist nicht gerade berühmt dafür, sich für die Frauenquote zu engagieren, und jetzt setzt sie Himmel und Hölle in Bewegung für Mrs. Nobody aus Münster? Wenn du dich bei einer Neuausschreibung wieder bewirbst ...«
    »Moment – es ist schon sicher, dass die Stelle neu ausgeschrieben wird?« Er konnte sehen, wie Marias Gesicht zur Maske erstarrte. Aus dem Nebenzimmer rief Philippa.
    »Neulich hab ich sie in der Mensa getroffen und gefragt: Anne, ist das politisch, fachlich oder persönlich? Es ist, was es ist, hat sie gesagt. Typische Anne-Antwort. Tut mir leid, Mann. Ich hab das Gefühl, dass sie selbst nicht glücklich ist über das, was sie tut. Aber sie kann nicht anders. Sie will dich hier nicht haben.«
    Maria hatte genug gehört und ging zurück zu ihrer Tochter.
    »Hab ich noch eine Chance?«, fragte Hartmut.
    »Wie gesagt, kommt drauf an, wie weit du bereit bist zu gehen. Vielleicht sollte ich besser sagen, was du dir antun willst.«
    »Hat Anne dich darum gebeten, hier anzurufen?«
    »Nein. Hier will keiner den Kopf aus dem Fenster stecken. Ich glaube, es ist allen ein bisschen peinlich. Aber ich dachte mir, du möchtest es vielleicht vor den Ferien wissen. Dir in Ruhe überlegen, was du machst.«
    »Okay.«
    »Hey, du bist auf der Erfolgsspur, das merkt man. Ein kleiner Umweg wirft dich nicht aus der Bahn.«
    »Ich muss Schluss machen, Dietmar, meine Tochter ruft. Danke für deinen Anruf.«
    »Wenn du mehr Informationen brauchst, melde dich.«
    »Ich hoffe, du kriegst auch bald deine Professur.«
    »Man tut, was man kann.«
    »Mach’s gut.« So sanft und langsam, als wollte er sich selbst provozieren, legte Hartmut den Hörer auf die Gabel. Horchte auf die Geräusche im Nebenzimmer und unten

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