Fliehkräfte (German Edition)
Viertausend-Euro-Sofa um Dinge, die er ihr früher aufgedrängt hatte. Dabei hat sie sich einmal in einen alten Regency-Sekretär verguckt und ein auf Antiquitäten spezialisiertes Umzugsunternehmen aufgetrieben, das den Schatz von Portugal nach Bonn schaffte. Billig war das nicht. Jetzt steht er als Schminktisch in einem Schlafzimmer, in dem Maria nur noch besuchsweise übernachtet und sich folglich selten schminkt. Als sie an jenem Abend am Planufer zu ihnen stieß und sich von Peters Idee unterrichten ließ, lautete ihr erster Kommentar: »Wusste ich doch, dass man euch zwei gut alleine lassen kann.« Die Gegengründe, die Hartmut ihr später aufgezählt hat, überzeugten sie nicht. Sein beruflicher Aufstieg habe stets vollen Einsatz verlangt, meinte sie, weshalb er jetzt nicht an eine Chance glaube, die ihm wie auf dem Silbertablett präsentiert werde. Das war gut beobachtet und wahrscheinlich zutreffend, aber was genau hat sie gemeint? Von sich aus ist sie nicht mehr auf das Thema zurückgekommen. Er auch nicht.
»Sehe ich dich heute Abend noch?«, fragt Maria. Sie haben ihr Essen bekommen und die Unterhaltung eine Weile ruhen lassen.
»Ich hab Ruth gesagt, es wird nicht zu spät. Zwischen drei und vier will ich los.«
»Wann bist du wieder in Bonn?«
»Spätestens am Montag. Eher Sonntagabend.«
»Also sehen wir uns erst nach Kopenhagen.«
Er nickt, Maria sieht auf die Uhr. Eine Viertelstunde später stehen sie draußen auf dem Platz, und Hartmut versucht, seine nächsten Schritte zu planen. Als Erstes wird er kommende Woche die Rechtsabteilung anrufen und sich unter Verwendung vieler Konjunktive erkundigen, was ein Professor beachten müsste, wenn er sich mit dem Gedanken beruflicher Umorientierung trüge und daher daran dächte, seine Anstellung an der Universität aufzugeben. Falls das überhaupt geht als Beamter.
»Bis dann also«, sagt er. »Im schönen Bonn.«
»Kannst du nicht noch einen Tag länger bleiben? Du könntest morgen zu Ruth und Heiner fahren.«
»Ich hab mich zum Abendessen angekündigt. Weil du gesagt hast, du weißt nicht, wie lange du heute arbeiten musst.« Jedes Mal wird seine Frau beim Abschied auf eine Weise anhänglich, die ihm ebenso wohl tut, wie er sie ärgerlich findet. Das alles sind die Konsequenzen ihres Umzugs! Außerdem erinnern ihn ihre Worte daran, dass Maria seit einem Jahr nicht mehr in seiner Heimat war und es immer weniger zu mögen scheint, wenn er dorthin fährt. Dass ihr großer Streit auf den Tag der Hochzeit seines Neffen gefallen ist, mag dafür ein Grund sein. Jetzt nimmt er sie in den Arm, und weil man heutzutage ständig mit neuen Erkenntnissen über die menschliche Seele konfrontiert wird, fällt ihm ungerufen eine besonders neue ein: Die Fähigkeit, ohne großen emotionalen Aufwand zu lieben, sei das Geheimnis einer langen (im mutmaßlichen Gegensatz zur bloß glücklichen) Ehe. Wo er den Schrott gelesen hat, weiß er nicht mehr, vielleicht im Bordmagazin der Lufthansa. Vorgestern allerdings ist er mit dem Auto gekommen, weil Maria ein paar Sachen brauchte und er auf dem Rückweg seine Schwester besuchen will.
In zärtlicher Resignation umfassen ihre Arme seine Taille. Um sie herum streben Menschen in alle Richtungen. Vor dem British Council sieht er die unermüdlichen Oxfam-Leute ihren wohltätigen Zweck verfolgen. Der Tag ist zu schön, um ihn auf der A2 zu verbringen, aber es gibt genug Fragen, über die erunterwegs nachdenken kann. Wenn es stimmt, dass ein Mensch nie zu alt ist, sich zu ändern, müsste für zwei Menschen ipso facto dasselbe gelten. Was freilich nichts darüber aussagt, wie die beiderseitigen Veränderungen sich zueinander verhalten.
»Das Kind ist aus dem Haus, das Leben könnte beginnen«, sagt er leise in ihr Haar. Manchmal hat man eben nur Worte.
»Warum sagst du nicht einfach: Schade, dass wir uns jetzt trennen müssen. Oder: Du wirst mir fehlen, Maria.« Sie legt den Kopf auf seine Brust und riecht vertraut und wunderbar.
»Du fehlst mir seit zwei Jahren. Ich mag’s nicht dauernd wiederholen.«
Normalerweise reagiert sie empfindlich auf solche Andeutungen, aber jetzt lässt sie ihren Kopf, wo er ist, ihre Hände, wo sie sind, und ihn sagen, was er will. Der erste perfekte Augenblick des Tages und ein weiterer Grund dafür, dass er sich nicht vorstellen kann, was er streng genommen längst führt: ein Leben ohne Maria. Sollte sein Durchhaltevermögen bloßem Mangel an Phantasie entspringen?
»Sag mir was, worauf ich
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