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Fliehkräfte (German Edition)

Fliehkräfte (German Edition)

Titel: Fliehkräfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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annimmt, weiß Hartmut, dass sie mit Philippa spricht. Eine Minute später klingelt das Telefon auf seinem Schreibtisch. Er legt das Buch beiseite und hebt ab.
    »Professor Doktor Faulenzer hier, was kann ich für Sie tun?«
    Seine Tochter stutzt nur kurz.
    »Du konntest nicht wissen, dass ich es bin«, sagt sie streng. »Es hätte der Präsident sein können.«
    »Ich hab’s aber gewusst.«
    »Wie?«
    »Durch sogenannte Intuition. Das bedeutet, dass ...«
    »Ich weiß, was Intuition heißt. Deswegen rufe ich nicht an.« Seit einiger Zeit gefällt es Philippa, den Eindruck zu erwecken, sie sei vielbeschäftigt und daher kurz angebunden. Maria meint, es sei ihr schleierhaft, von wem sie das habe.
    Hartmut schiebt seinen Stuhl zurück und legt die Füße auf den Tisch. Vom Cover des Buches blickt ihn die Besatzung eines amerikanischen Sherman-Panzers an, der über einen matschigen Waldweg rollt. Er dreht es um und hört seiner Tochter dabei zu, wie sie nachdenkt über die beste Weise, ihr Anliegen vorzutragen. An bisher jedem Tag der Woche hat sie im Büro angerufen, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen, auf ihre halb kindliche, halb erwachsene Art, auf die richtig einzugehen nicht leicht ist. Jeden Tag schwankt ihr Alter zwischen sieben und vierzehn, wie ein Pendel, bloß ohne Takt.
    »Ich hab mir überlegt, dass du etwas tun solltest, was dir guttut«, sagt sie schließlich.
    »Das tue ich gerade. Ich telefoniere mit meiner Tochter.«
    »Ich meine eine Unternehmung. Etwas, das du dir erst vornimmst und dann tust.«
    »Das ist sehr fürsorglich von dir, aber leider geht es diesesWochenende nicht. Morgen muss ich nach Arnau, wie du weißt. Hat deine Mutter sich schon geäußert, ob ihr beide mitkommt?«
    »Ich äußere hiermit, dass ich mitkomme. Kommt Felix auch?«
    »Bestimmt. Und deine Mutter?«
    »Im Moment liegt sie im Bett.«
    »Verstehe.« Er blickt auf seine Armbanduhr: Zwanzig vor drei.
    »Also, du solltest ins Kino gehen«, sagt Philippa, bevor er sich nach Marias Befinden erkundigen kann. »Das könntest du heute noch machen.«
    »Hm. Ich war lange nicht im Kino. Was sollte ich deiner Meinung nach sehen?«
    »Etwas, das dich ablenkt und ... Ich weiß nicht. Auf jeden Fall was Positives.«
    »Zuerst müsste ich mich erkundigen, was im Moment läuft. Ich bin überhaupt nicht informiert. Am besten frage ich Frau Hedwig.«
    »Am besten fragst du mich. Der Pferdeflüsterer ist gerade angelaufen.«
    »Nie gehört. Worum geht’s?«
    »Na ja, um Pferde.«
    »Das ist alles? Dem Titel nach müsste mindestens noch ein Mann vorkommen.«
    »Es ist eine Liebesgeschichte, okay?« Bei der Intonation bestimmter Wörter verzieht sich Philippas Gesicht zu ironischen Grimassen, das weiß er, ohne es sehen zu können. »Außerdem geht es darum, wie jemand ein Trauma überwindet. Weißt du, was ein Trauma ist?«
    »Ich denke schon, doch.«
    »Es würde dir wirklich guttun.«
    »Lass mich raten. Deine Mutter würde sich so was vermutlich nicht anschauen, oder?«
    »Du kennst sie«, sagt Philippa besonnen. »AmerikanischeFilme sind nicht ihr Ding. Außerdem hat sie später ihren Unterricht.«
    »Richtig. Hätte ich fast vergessen.«
    »Wenn du willst, begleite ich dich. Gegen Abend könnte ich’s einrichten.«
    Es dürfte das letzte Mal sein, dass seine Tochter ihm anträgt, mit ihr gemeinsam einen Liebesfilm anzuschauen, also sagt er zu. Im Frühjahr war sie erstmals ohne elterliche Begleitung im Kino, um mit zwei Freundinnen Titanic zu sehen. Das entsprechende Poster über dem Bett lässt auf eine allmähliche Verlagerung ihrer Interessen schließen, hin zu dem, was außerhalb des Tierreichs süß ist. Heute hat sie bereits alles arrangiert und schlägt vor, dass sie sich um Viertel nach sechs vor dem Sternkino treffen. Die Vorstellung beginne um halb sieben, und die Tickets seien auf den Namen Hainbach bestellt.
    »Ich komme mit dem Bus, du kannst laufen. Das Sternkino ist Am Markt acht.«
    »Ich weiß, Schatz. Ich wohne schon genauso lange in Bonn wie du.«
    »Aber nicht genauso viel«, sagt sie weise und ein wenig kryptisch und wünscht ihm einen schönen Nachmittag.
    Um zwanzig nach sechs erwartet sie ihn mit den Karten in der Hand und einer bunten Schirmmütze auf dem Kopf. Im letzten Jahr ist sie sieben Zentimeter gewachsen und schlenkert manchmal mit den Armen, als wäre sie in deren Handhabung noch unsicher. Was vorne fransig unter der Mütze hervorlugt, scheint nicht ihr Pony, sondern das Ende eines Zopfs zu

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