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Fliehkräfte (German Edition)

Fliehkräfte (German Edition)

Titel: Fliehkräfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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früher Ethan Hawke toll fand. Before Sunset , weil mir irgendwann klar geworden ist, dass ich eigentlich Julie Delpy toll finde. Und Lisbon Story , ein Geschenk meines Vaters, weil er Wim Wenders toll findet, was ich eines Tages auch noch verstehen werde. Klug wie ich bin.«
    Hartmut setzt den Blinker und ist froh, dass ihr Groll sie nicht mehr so einsilbig macht wie früher.
    »Wir stehen also vor einem Rätsel.«
    »Wäre ich eine Detektivin und sollte den Besitzer einer Kiste mit alten Filmen finden, dann wäre meine Ausgangsthese: Ich suche eine ältere Person, die sich nicht besonders gut im Internet auskennt. Oder jemanden mit antiquierten Vorstellungen von geistigem Eigentum.« Obwohl sie verstimmt ist, kann Philippa sich ein Kichern nicht verkneifen. »Mein erster Verdächtiger, wenn ich das sagen darf, wärst du.«
    »Sehr witzig.«
    Sie rollen an einer rot-weißen Tankstelle vorbei, hinter der sich linker Hand ein Restaurant anschließt. Weil die Parkplätze davor besetzt sind, fährt Hartmut nach rechts. Ein paar Holzbänke auf einem ausgedörrten Rasenstück liegen in der prallen Sonne. Die Temperaturanzeige im Auto zeigt einunddreißig Grad.
    »Siehst du irgendwo Schatten?«, fragt er. Ein einziges Fahrzeug steht auf diesem Teil des Geländes, ein kastenförmiges Wohnmobil mit Bremer Kennzeichen. Die Inhaber haben sich mit ihren Campingstühlen unter eine Gruppe schlanker Pinien verzogen. Ein älteres Paar, wenn er’s aus der Distanz richtig erkennt.
    »Gleich hier«, sagt Philippa. Parkbuchten sind keine markiert, und Hartmut hat das Gefühl, dass der Bremer Camper missmutig über den Rand seiner Zeitung blickt, als er den Wagen links ranfährt. Im Schatten einer jungen Platane stellt er den Motor ab. Unter der Haube tickt es leise.
    »Also noch mal«, sagt er. »Die Kiste wurde ja nicht dorthin gezaubert.«
    »Es sind Mamas DVDs. Wem sollten sie sonst gehören?«
    »Deine Mutter schaut so was nicht. Sie hat einen sehr anspruchsvollen, um nicht zu sagen elitären Geschmack. Warum sie trotzdem Falk Merlingers Stücke erträgt, kann ich zwar nicht erklären, aber ...«
    »Wenn es nicht deine sind, müssen es ihre sein!«
    »Die Kiste stand im Keller unter der Treppe, bei dem anderen Gerümpel. Jemand hatte eine Decke darübergebreitet, und darauf lagen noch mal Sachen, es war reiner Zufall, dass ich darauf gestoßen bin.« Obwohl sie im Schatten stehen, sickert die Hitze von draußen ins Wageninnere, sobald die Klimaanlage nicht mehr läuft. Nach wenigen Sekunden klebt ihm das Hemd am Körper.
    Philippa zuckt mit den Schultern und sagt: »Wie viel ist zwei und zwei?«
    »Bitte?«
    »Beziehungsweise, wie lange braucht ein Philosoph, um das auszurechnen?«
    »Was soll das wieder heißen? Flippa, wenn ich dich verärgert habe, dann sag es. Ich wollte weder den Stolz der Einwohner von Rapa noch die religiösen Gefühle deiner Freundin verletzen. Sollte ich es entgegen meiner Absicht getan haben, tut es mir leid! Wie lange willst du mich dafür büßen lassen?«
    »Du bildest dir ja so viel auf deine Anteilnahme ein. Wahrscheinlich auch auf dein Einfühlungsvermögen – vom Balkon aus. Bestimmt hältst du das für einen Logenplatz.«
    »Kannst du bitte diesen sarkastischen Ton abstellen!«
    »Kannst du bitte deine verdammten Augen aufmachen!« Von einem Moment auf den anderen beginnt Philippa zu brüllen. »Es sind Mamas DVDs, okay? Sie hat es mir erzählt. Dir nicht, warum auch immer, aber mir. Ihr war so langweilig in Bonn, dass sie nichts Vernünftiges mehr lesen konnte. Ein Gefühl, wie hirntot zu sein, hat sie gesagt. Also hat sie sich diesen Scheiß reingezogen, nachmittags, während du an der Uni warst und ich nicht im Haus. Und hat die Kiste im Keller versteckt, damit du sie nicht findest. Schlau von ihr, was?«
    »Ich verstehe kein Wort«, sagt er. »Aber du kannst mir das auch sagen, ohne zu brüllen.«
    »Verschon mich mit deiner Sachlichkeit! Auf dem Wohnzimmertisch lag Ibsen, und im Schlafzimmer stand Brecht, und das war kein Zufall. Sie hat sogar daran gedacht, die Lesezeichen zu verschieben, jeden Tag um ein paar Seiten. Oh, so schlau! Sie konnte nicht mehr in den Spiegel schauen, und du hast es nicht gemerkt, weil nachmittags fünf Leute in deiner Sprechstunde saßen. Oder weil eine Sitzung eine halbe Stunde länger gedauert hat. Ich hab’s auch nicht gemerkt, weil ich einen Freund hatte, von dem ich nicht angefasst werden wollte. Wahrscheinlich wäre es mir damals sowieso egal

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