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Fliehkräfte (German Edition)

Fliehkräfte (German Edition)

Titel: Fliehkräfte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Thome
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alte Freundin«, sagt er. »Genauer gesagt, war sie meine erste große Liebe. Damals in Amerika. Ich hab sie vor einer Woche besucht, auf dem Weg zu Bernhard Tauschner.«
    »Weiß Mama das?«
    »Nein, aber sie kann es ruhig wissen. Sandrine und ich haben sporadischen Kontakt, und ich hatte Lust, sie zu sehen. Du würdest sie übrigens mögen. Sie hat auch so was Entschiedenes. Wir haben geredet und zusammen zu Abend gegessen, dann bin ich in mein Hotel gefahren.«
    Philippa kratzt sich an der Wade. Sie trägt ein T-Shirt der Universität von Santiago und Bermudashorts, die möglicherweise für Männer gefertigt wurden. Hartmut wechselt auf die linke Spur und zieht an einem Lkw vorbei. Inzwischen sind es draußen neunundzwanzig Grad. Grün und braun und hügelig liegt das Land unter der Sonne. Weiße Dörfer schlafen in den Mulden.
    »Du weißt nicht viel über mein Leben vor deiner Geburt, richtig?«, fragt er.
    »Jedenfalls weiß ich seit gestern etwas mehr über deinen Drogenkonsum.«
    »Mein Drogenkonsum, ein großes Thema. Ich glaube erwähnt zu haben, dass es der erste Joint meines Lebens war. Mit Ende fünfzig.«
    »Darf ich fragen, warum wir das erfahren mussten? Erst sprichst du in chinesischen Gleichnissen, dann folgen wilde Geschichten über Joints im Wald. Sollte Gabriela daraus schließen, dass du in anderen Fragen ebenso liberal denkst? Ist dasein Achtundsechziger-Ding oder was? Schaut her, wie locker ich bin!«
    »Wirf nicht mit Begriffen um dich, die du nicht verstehst. Es ist nicht so, als hätte ich damit geprahlt. Ihr zwei wart nicht besonders gesprächig, also ...«
    »Du hast erzählt, wie ihr beide bekifft in der Kirche gesessen habt, während Florian geheiratet hat. Und es klang nicht, als wäre es dir peinlich.«
    »Hab ich deine religiösen Gefühle verletzt? Sorry. Ich wusste nicht, dass es die gibt. Deine Großmutter wird sich freuen.« Beschwichtigend will Hartmut sich nach rechts wenden, aber Philippa kommt ihm zuvor.
    »Erstens mag ich’s nicht, wenn du sie Großmutter nennst. Das klingt, als würde sie gleich vom bösen Wolf gefressen. Zweitens: Es hat Gabriela befremdet. Wie kamst du dazu, ausgerechnet vor Florians Trauung deinen ersten Joint zu rauchen?«
    »Ich wollte niemanden befremden oder verletzen. Außerdem hat Gabriela gelacht über die Geschichte. Befremdet hast du ausgesehen. Ist deine Freundin religiös? Seit wann ...« In letzter Sekunde und trotzdem zu spät hält er inne. Selbst schuld, wenn sie ihn so provozieren muss.
    »Ja, bitte? Seit wann sind Lesben religiös? War das deine Frage?«
    »Weißt du, Eltern von heute haben es nicht leicht. Wir dürfen auf keinen Fall zu konservativ sein und Einstellungen mit uns rumschleppen, die nicht mehr zeitgemäß sind. Aber sobald wir uns liberaler zeigen, gilt das entweder als anbiedernd oder aufgesetzt oder als grundsätzlich verdächtig.«
    Darauf reagiert seine Tochter nicht.
    »Offen gestanden, verstehe ich deine ganze Generation nicht. Wie seid ihr drauf? Politik interessiert euch nicht, aber Robbenbabys schon. Niemals würdet ihr für Brot für die Welt spenden, aber wenn ein Journalist mit Rastalocken eingesperrt wird, richtet ihr ihm eine Facebook-Seite ein. Auf Ideologien fallt ihr nicht rein, dafür seid ihr zu ausgebufft, aber über neue Handysgeratet ihr in religiöse Verzückung. Offline zu sein muss sich für euch anfühlen, wie unter Sauerstoffmangel zu leiden.«
    »Du hyperventilierst«, sagt Philippa kalt.
    »Hast du auch so eine Seite, wo draufsteht, welchen Film du dir vorgestern als Raubkopie aus dem Internet gezogen hast? Wozu soll das gut sein, was ist der Sinn?«
    »Du weißt, was der Sinn eines Briefkastens ist, oder? Meine Frage war, warum du ausgerechnet vor Florians Hochzeit deinen ersten Joint rauchen musstest.«
    Tatsächlich hat er sich in eine Erregung hineingesteigert, die er nicht gleich wieder abschütteln kann. Sie ähnelt dem Gefühl während des großen Streits mit Maria, dem Wissen, recht zu haben, aber nicht recht bekommen zu können. Ein Missstand, der niemanden sonst zu kümmern scheint.
    »Würde es dir was ausmachen«, sagt er, »dich aufrecht hinzusetzen, so dass ich sehe, mit wem ich spreche.«
    »Ich bin’s, Philippa. Was du mir sagst, wird vertraulich behandelt.«
    »Hat deine Mutter dir nie davon erzählt? Von dem Streit.«
    »Nein.«
    »Wir haben uns – gestritten. Genauer gesagt, hab ich mich wie ein Irrer aufgeführt und ihr alle möglichen Dinge an den Kopf geworfen. Danach

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