Flirte nie in Italien
nicht öfter oder seltener krank als früher", reichte sie die Antwort gleich nach. "Zu Doktor Fortuno sind sie nur deshalb nicht gegangen, weil sie genau wussten, dass er ihnen nicht helfen konnte. Er hat sich also nicht frei genommen - er hatte schlichtweg nichts zu tun. Und dass sich das von mir nicht sagen lässt, wirst selbst du mitbekommen haben."
"Willst du damit sagen, dass du dir nicht einmal einen netten Abend machen kannst?"
"Nicht, wenn ein Unwetter angekündigt ist", erwiderte sie spitz. "Zum Glück war ich ja darauf vorbereitet, dass das Leben hier oben im Winter kein Zuckerschlecken ist."
Bernardo hatte den Seitenhieb offensichtlich verstanden, denn er hatte es plötzlich sehr eilig, das Gespräch zu beenden.
Wie angekündigt, setzte kurz nach Einbruch der Dunkelheit das Unwetter ein.
Binnen weniger Minuten sank die Temperatur unter den Gefrierpunkt, und als Angie das dichte Schneetreiben sah, war ihr klar, dass Montedoro für einige Tage mehr oder weniger von der Außenwelt abgeschlossen sein würde.
Doch obwohl sie offensichtlich die richtige Entscheidung getroffen hatte, fiel es ihr in dieser Nacht schwer, Schlaf zu finden. Denn insgeheim sah sie den kommenden Tagen mit Bangen entgegen.
Woran weniger der Sturm als vielmehr die Gewissheit schuld war, dass die Einwohner von Montedoro ihr die Selbstlosigkeit kaum danken würden. Denn Angie war sich sicher, dass nicht einer von ihnen sie in den nächsten Tagen brauchen würde, weil alle es vorzogen, sich in ihren Häusern zu verkriechen.
Und so würde sie die nächsten Tage untätig und allein in einem kleinen Haus verbringen, um das orkanartige Windböen tobten, anstatt sich vergnügliche Stunden im milden Klima der Küste zu machen, die Gastfreundschaft Baptistas zu genießen und dabei auch noch in Bernardos Nähe sein zu können.
Als sie am nächsten Morgen aufwachte, herrschte gespenstis che Stille. Der Sturm schien sich gelegt zu haben, und gespannt ging Angie ans Fenster.
Der Anblick, der sich ihr bot, war ebenso faszinierend wie trostlos. Das Tal vor ihr war tief verschneit - jedenfalls so weit Angie es überblicken konnte. Denn die Berge waren in dichten Nebel gehüllt, und Montedoro schien über den Wolken zu schweben.
Bis ins Detail entsprach es der Stimmung, die Bernardo ihr beschrieben hatte, um ihr klarzumachen, dass sie dem Leben hier oben nicht gewachsen war - mit ihm nicht und schon gar nicht ohne ihn.
Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft wurde Angie von Zweifeln geplagt, glaubte plötzlich die Motive für Bernardos Unnahbarkeit zu verstehen. Offensichtlich hatte er geahnt, dass die ehrgeizige junge Frau aus gutem Hause bald an ihre Grenzen stoßen würde.
Um sich auf andere Gedanken zu bringen, zog Angie sich an und ging in die Küche, wo sie frühstückte. Anschließend ging sie routinemäßig in die Praxis, doch wie vermutet, war das Wartezimmer leer, und ein Blick auf die Straße verriet ihr, dass sich daran auch nichts ändern würde.
Weil Ginetta frei hatte, beschloss Angie, die Zeit zu nutzen und medizinische Fachblätter zu lesen, wozu sie in den letzten Tagen nicht gekommen war. Doch weil sie sich nicht konzentrieren konnte, gab sie es schon bald wieder auf und legte die Hefte beiseite.
Die Stunden zogen sich endlos lange hin, und die Stille im Haus und auf der Straße, wo nicht ein Fußstapfen im Schnee zu sehen war, wurde zunehmend bedrückender.
Als endlich die Dämmerung hereinbrach und der Tag ein Ende zu nehmen versprach, ging Angie durchs Haus, um die Vorhänge zuzuziehen. Die Fenster der Nachbarhäuser waren hell erleuchtet, und Angie ertappte sich dabei, dass sie geradezu Wut auf die Menschen empfand, derentwegen sie im Ort geblieben war und die es nicht einmal für nötig hielten, sich auch nur die kleinste Verletzung zuzuziehen.
Im Schlafzimmer angekommen, öffnete sie das Fenster, um einen Blick ins Tal zu werfen, bevor es in völliger Dunkelheit versank.
Im ersten Moment wusste sie nicht zu sagen, ob sie es sich nur einbildete oder ob sie wirklich eine Gestalt sah, die sich aus dem dichten Nebel löste. Doch schon bald war sie sich sicher, dass dort draußen ein Fußgänger die steile, verschneite Straße nach Montedoro erklomm.
Wie kann man nur so leichtsinnig sein? dachte Angie unwillkürlich und versuchte, den nächtlichen Wanderer nicht aus den Augen zu verlieren, der nicht einmal eine Taschenlampe bei sich zu haben schien.
Zu ihrem Entsetzten erfüllte es sie geradezu mit Erleichterung, dass
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