Flirte nie in Italien
doch noch jemand ihre Hilfe benötigte. Kurz entschlossen schlüpfte sie in ihre Stiefel und zog die dicke Winterjacke an. Nachdem sie ihre Taschenlampe aus der Kommode genommen hatte, trat sie hinaus auf die Straße.
Um nicht bei jedem Schritt auszurutschen, hielt sie sich nah an den Mauern der Häuser. Trotzdem dauerte es erschreckend lange, bis sie das Stadttor erreicht hatte und die Taschenlampe einschaltete, um die abschüssige Straße abzuleuchten.
Weil niemand zu sehen war, wagte sie sich vorsichtig weiter und rief laut in die Dunkelheit, ohne dass ihre Rufe erwidert wurden. Immer weiter entfernte sie sich vom Stadttor, ohne dass ein Lebenszeichen auszumachen war.
Schon befürchtete sie, dass der arme Mensch vor Erschöpfung zusammengebrochen war, als der Lichtkegel ihrer Taschenlampe auf eine Gestalt fiel, die zusammengekauert am Straßenrand saß.
"Bernardo!" rief sie entsetzt, als er den Kopf hob.
„Wo kommst du denn her?" fragte er nicht weniger erstaunt.
"Ich habe dich zufällig von meinem Schlafzimmerfenster aus gesehen", erklärte sie ihm atemlos. "Was denkst du dir eigentlich, bei diesem Unwetter hier draußen herumzulaufen? Wo ist dein Auto?"
"Das steht weiter unten am Berg", erwiderte er, und es war ihm deutlich anzumerken, wie schwer ihm das Sprechen fiel. "Ich bin in eine Schneewehe geraten."
"Bist du verletzt?"
"Mein Knöchel ist ziemlich geschwollen."
"Du musst sofort ins Warme", ordnete Angie an und half Bernardo aufzustehen. "Leg den Arm um meine Schultern."
"Ich komme schon allein ... "
"Keine Widerworte", fiel sie ihm ins Wort. "Oder willst du etwa erfrieren?"
Nachdem er widerwillig ihre Anweisung befolgt hatte, konnten sie sich auf den mühsamen Rückweg begeben.
In Angies Kopf kreisten eine Vielzahl von Fragen. Wie lange mochte Bernardo schon zu Fuß durch die Nacht geirrt sein? Und was hatte ihn überhaupt bewogen, sich bei diesem Wetter auf den Weg zu machen?
Wohlweislich beschloss sie, ihn später danach zu fragen, denn sie spürte genau, dass er mit seinen Kräften am Ende war.
Der Weg, den sie einschlugen, führte an Angies Haus vorbei, doch als sie die Tür aufschließen wollte, sträubte sich Bernardo. "Ich gehe zu mir", sagte er barsch.
"Kommt nicht infrage", widersprach Angie entschieden. "Dein Knöchel muss unbedingt behandelt werden, und zwar in meiner Praxis."
Bernardo war zu schwach, um zu widersprechen. Doch statt ins Behandlungszimmer führte Angie ihn ins Wohnzimmer, wo sie ihm die Winterjacke auszog und ihn aufforderte, sich aufs Sofa zu legen, während sie ihm ein großes Glas Brandy einschenkte.
"Damit du wieder auftaust", erklärte sie, während sie ihm den hochprozentigen Schnaps reichte.
Als sie mit einem Frotteebademantel aus dem Schlafzimmer zurückkam, hatte Bernardo das Glas bereits ausgetrunken.
"Es wird höchste Zeit, dass du aus deinen nassen Sachen rauskommst", forderte Angie ihn unverblümt auf, sich auszuziehen. "Während du dir den Bademantel überziehst, hole ich dir noch einen Brandy aus der Küche."
Sie ließ sich bewusst mehr Zeit, als sie gebraucht hätte, und als sie ins Wohnzimmer kam, lag Bernardo umgezogen auf dem Sofa. "Wie lange bist du dort draußen herumgeirrt?" fragte sie, während sie seinen Knöchel untersuchte.
"Ich weiß es nicht genau", erwiderte Bernardo matt. "Sicherlich mehrere Stunden."
"Und wann bist du umgeknickt?"
"Schon nach wenigen Metern."
"Du hast Glück im Unglück gehabt", sagte Angie. „Der Knöchel ist nur verstaucht. Trotzdem hättest du nicht weiterlaufen dürfen. Warum hast du mit deinem Handy nicht jemanden zu Hilfe gerufen?"
"Ich wollte so schnell wie möglich nach Montedoro", erwiderte Bernardo gereizt. "Warum, weiß ich selbst nicht mehr“, kam er ihrer Frage zuvor.
„Und woher stammen die Verletzungen im Gesicht?"
"Ich bin gestürzt und konnte mich bei der Glätte nicht halten", erklärte er und hob seine Hände, die voller Schürfwunden waren.
Augenblicklich begann Angie, Bernardo gründlich zu untersuchen, doch glücklicherweise stellte sich heraus, dass er vergleichsweise glimpflich davongekommen war.
Während sie ihm die Wunden auswusch und desinfizierte, beobachtete sie, dass ihm immer wieder die Augen zufielen, bis er schließlich einschlief.
Leise ging sie in die Küche, um etwas Warmes zu essen zu machen. Während sie am Herd stand, sah sie sich mehrfach um und in Bernardos entspanntes Gesicht. So entschieden er sich jede Nachfrage nach dem Grund seines überstürzten
Weitere Kostenlose Bücher