Flitterwochen
Karolina.
»Das finde ich ja toll von deiner Tante, dass sie trotz Renovierungsstress so viele Verwandte einlädt!«, eröffne ich das Gespräch.
»Meine Tante will renovieren?« Karolina sieht mich erstaunt an.
»Äh, ich glaub schon. Also, die Spiegel hat sie ja schon alle abgedeckt.«
Karolina prustet los – und dann übersetzt sie meine Vermutung lauthals für alle Anwesenden. Es folgt ein Ausbruch der Heiterkeit, man könnte fast meinen: Jans Familie lacht mich aus. Was hab ich denn nur gesagt?
»Entschuldige«, Karolina grinst mich an, »aber das ist wirklich lustig. Tante Małgorzata hat die Spiegel verhängt, weil Karfreitag war. Das ist ein alter religiöser Osterbrauch. Es geht um Beten – nicht ums Wändestreichen.«
Ach so! Na ja, das kann ich alte Atheistin doch nicht wissen. Peinlich berührt nehme ich noch einen kleinen Schluck Wodka, und dann lässt Karolina einen wahren Fragenhagel auf mich niederprasseln.
»Sag mal, wie lange kennst du meinen Bruder eigentlich schon? Und wie habt ihr euch kennengelernt? Bleibt ihr länger in Kolberg? Hast du Urlaub? Was machst du eigentlich beruflich?«
Mist, vielleicht war es doch keine so gute Idee, Smalltalk mit Jans Schwester zu machen. Tapfer ignoriere ich ihre ersten Fragen und sage: »Ich bin Lehrerin. An einer Grundschule in Lübeck. Und du?«
»Na, so ein Zufall! Ich bin auch Lehrerin, in Belgard. Allerdings an einem Gymnasium. Mathematik und Deutsch.« Sie schaut mich leicht abschätzig an. Klar, da kann ich natürlich nicht mithalten. »Du hast mir aber immer noch nicht erzählt, woher du Jan kennst!«
Hilfe, die ist aber hartnäckig! Fieberhaft krame ich in meinem Hirn nach einer plausiblen Geschichte.
»Ich, also, äh … wir haben mal zusammen, äh …«, Karolina schaut mich fragend an.
»Ja, was habt ihr zusammen?«
»Also, wir haben mal in der Disko …«
»Ihr habt euch in der Disko kennengelernt? Da ist Jan doch noch nie gern hingegangen, das ist ja mal was Neues.«
Mist. Ich kenne Jan einfach überhaupt nicht. Wie soll ich da eine halbwegs plausible Geschichte zusammenschrauben?
»Nein, also nicht wirklich in der Disko. Es war vielmehr so, dass wir … äh …«
In diesem Moment kommen mir Karolinas Jungs zu Hilfe. Die liegen nämlich ineinander verkeilt auf dem Boden und versuchen gerade, sich gegenseitig die Nasen blutig zu hauen.
»Kamil! Kacper!« Mit einem Aufschrei stürzt Mutti sich auf ihre Brut und trennt sehr resolut die beiden Streithähne. Ich nutze die Gelegenheit und schleiche möglichst unauffällig zu Jan zurück. Bevor ich mit ihm absprechen kann, was um Himmels willen ich auf Karolinas Fragen antworten soll, erhebt sich die Gesellschaft, und plötzlich herrscht allgemeine Aufbruchstimmung.
»Okay, Tine, jetzt geht es in Bogumiłs Kirche«, sagt Jan. »Nimm auf alle Fälle deine Jacke mit, dort ist bestimmt nicht geheizt.«
Hä? Was passiert denn jetzt schon wieder?
»Wir müssen zur Swieconka«, sagt Jan, »das ist ein Gottesdienst, bei dem das Essen fürs Frühstück am Ostersonntag gesegnet wird.«
Diese Polen halten einen ganz schön auf Trab mit ihren Oster-Feierlichkeiten!
»Aber ich dachte –«, wende ich ein, als Jan mir eine Jacke in die Hand drückt und ich von den anderen mit nach draußen gedrängt werde. Mir wird erneut schwummerig, und bevor mir wieder einfällt, was ich einzuwenden hatte, werde ich auch schon in einen der Mittelklassewagen bugsiert, die vor der Platte stehen. Jan und ich fahren bei Karolina nebst Anhang mit, die aber zum Glück auch während der Fahrt noch damit beschäftigt ist, ihre kleinen Terroristen zu bändigen, so dass ihr keine Zeit bleibt, noch einmal nachzuhaken. Kamil und Kacper werden mir immer sympathischer.
Kurz hinter Kolberg steuern wir in einem kleinen Dorf auf den Kirchplatz. Hier ist richtig was los. Aus allen Himmelsrichtungen strömen die Gläubigen zum Gotteshaus, alle haben Körbe voller Lebensmittel dabei, die sie segnen lassen wollen. Onkelchen Bogumił hetzt wie von der Tarantel gestochen zu einem Seiteneingang, offensichtlich sind wir etwas spät dran, und er muss sich sputen.
Wir gehen über einen großen Friedhof Richtung Hauptportal, und ich bemerke, dass alle Gräber mit bunten Blumen geschmückt sind. Bei näherer Betrachtung sehe ich allerdings, dass sie gar nicht echt sind, sondern entweder aus Plastik oder Stoff. Egal, es sieht trotzdem sehr hübsch aus. Ich werfe einen Blick auf die Grabsteine – jede Menge Majewskis und
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