Flitterwochen
Kindergarten gebracht, oder?«
»Hey, das ist unfair! So ein Weichei bin ich gar nicht! Ich streite mich nur nicht gern.«
Bin ich froh, dass ich Einzelkind bin und mich nicht im zarten Alter von dreißig Jahren von meiner großen Schwester tyrannisieren lassen muss. Weil Jan aber sehr unglücklich aussieht und ich außerdem Riesenhunger habe, lenke ich ein.
»Na gut«, sage ich, »dann suchen wir eben nach dem Essen weiter.«
Wir brausen zurück zur Platte, hetzen die drei Stockwerke hoch und platzen ins Wohnzimmer, das voller Menschen ist – Jans Sippe scheint riesig zu sein. Ein paar Familienmitglieder habe ich schon kennengelernt, andere sehe ich jetzt zum ersten Mal.
Bei unserer Ankunft sind alle Gespräche verstummt, und mindestens zwanzig Augenpaare starren mich neugierig an. Na dann, auf zur Inquisition à la polski!
9 . Kapitel
S o, Tine, jetzt lernst du den engsten Familienkreis kennen«, sagt Jan und deutet schwungvoll auf die Meute, die mich weiterhin schweigend und ziemlich unverhohlen mustert.
Ach so, das ist jetzt nur der
engste
Familienkreis. Wenn der ganze Clan zusammenkommt, dann müssen die wahrscheinlich ein Fußballstadion mieten. Jan beginnt eine launige Vorstellungsrunde, vermutlich will er so das Eis brechen.
»Małgorzata, Leszek und Karolina kennst du ja schon.« Karolina guckt mich etwas mitleidig an, ihr Mundwinkel zuckt. Ui, die kann ja lächeln! Wer hätte das gedacht?
»Neben meiner Schwester«, fährt Jan fort, »sitzt Wojtek, ihr Mann. Die beiden Racker links sind – ey, Jungs, Finger aus der Nase! – Kamil und Kacper, meine Neffen. Der alte Griesgram dahinten ist Onkelchen Bogumił, er ist Priester und damit sozusagen das geistige Oberhaupt der Familie – ein Onkel meines lieben Vaters, Gott hab ihn selig.«
Bogumił, ein bärtiger älterer Herr in salopper Freizeitkleidung, aber mit weißem Kragen, guckt mich zwar etwas glasig, aber nicht unfreundlich an. Jan legt sich ins Zeug und rattert weiter, die polnischen Namen fliegen mir nur so um die Ohren. Die kann ich mir unmöglich alle merken. Cousinen und Cousins, Neffen, Nichten, Schwippschwager und wer weiß was noch alles.
Ich schüttele ganz viele Hände, sage »Angenehm, angenehm«, und dann rückt die Gesellschaft noch weiter zusammen, um uns Platz zu machen. Zum Glück sitze ich neben Jan, rechts von mir Bogumił, Karolina in halbwegs sicherem Abstand.
»Spricht hier außer deiner Schwester noch jemand Deutsch?«, flüstere ich Jan ins Ohr.
»Nur noch Wojtek«, raunt Jan zurück. »Er ist Internist und hat ein paar Semester in Berlin studiert.«
Irgendwie bin ich ganz erleichtert. So kann ich mich wenigstens ungestört mit Jan unterhalten und muss nur aufpassen, wenn Karolina und ihr Mann in der Nähe sind. Jetzt wendet sich Bogumił an mich und fragt irgendetwas.
»Onkelchen will wissen, ob du katholisch bist«, hilft Jan weiter.
»Äh, ich bin Protestantin. Also, streng genommen war ich Protestantin, ich bin nicht mehr in der Kirche.«
Jan übersetzt, und Bogumił schaut sehr betrübt aus der Wäsche. Sofort habe ich ein schlechtes Gewissen. Vor lauter Verlegenheit nehme ich einen großen Schluck aus dem Wasserglas, das vor mir steht – und spucke das Gesöff fast quer über den Tisch. O Gott, was ist das denn?
Jan grinst mich an. »Wodka!« Dann erhebt er sein Glas und sagt irgendwas auf Polnisch, woraufhin die ganze Familie ihr Glas erhebt und alle »Na zdrowie!« brüllen. Na, das kann ja ein lustiger Abend werden …
Tante Małgorzata serviert das Essen, irgendwas Fischiges mit Kartoffeln und Soße, ein eher frugales Mahl. Da hatte ich eigentlich mehr erwartet. Jan bemerkt, dass ich etwas lustlos auf meinem Teller herumstochere, und wispert mir ins Ohr: »Morgen ist die Fastenzeit zu Ende, dann wird’s besser.«
Aha, das lässt hoffen. Denn wenn ich auf der Suche nach Oma Strelow weiter so rumrennen muss, brauche ich früher oder später was Anständiges zwischen die Kiefer.
Die Tischrunde wird lauter und fröhlicher, auch Onkelchen Bogumił spricht dem Wodka zu, und jedes Mal, wenn ich anstandshalber an meinem Glas nippe, füllt er es sofort wieder auf. Von dem ungewohnten Schnaps-Konsum wird mir ganz leicht und schwummrig zumute, und langsam finde ich es dann doch etwas schade, dass ich mich mit niemandem unterhalten kann.
Nach und nach löst sich die starre Tischordnung auf, die Gäste spielen Bäumchen, wechsel dich, und auch ich verlasse meinen Platz und setze mich wagemutig neben
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