Flitterwochen
Lewandowskis, aber auch ein paar Kotlarskis und Brzeszinkis. Und dann, etwas weiter hinten, die Treptows, die Kaufmanns und tatsächlich: die Strelows. Ob das engere Familie von Gerda ist? Ich gehe einen Schritt näher an den Grabstein heran – kein Fritz, sondern eine Hedwig. Wenn Oma hier wäre, könnte ich sie fragen, aber so … Nein, falsch. Wenn Oma hier wäre, wären wir jetzt nicht hier!
Die Kirche ist schon gerammelt voll. Vor dem Altar ist ein riesiger Tisch aufgebaut, auf dem die Gemeindemitglieder ihre Körbe abstellen. In der letzten Bankreihe ist noch ein wenig Platz, wir quetschen uns alle zusammen, und ich habe mehr Körperkontakt zu Kamil, als mir lieb ist. Der klettert nämlich einfach auf meinen Schoß und kuschelt sich an mich. Ich denke an die amtliche Fahne, die ich von dem vielen Wodka mit Sicherheit habe – hoffentlich bekommt das arme Kind keine Alkoholvergiftung.
Die Orgel beginnt zu brausen, und Onkelchen Bogumił betritt den Ort des Geschehens. In seiner schwarzen Soutane und mit dem weißen Rauschebart sieht er jetzt richtig ehrfurchtgebietend aus.
Der Gottesdienst ist ungefähr so, wie ich ihn mir vorgestellt habe – nur zehnmal so lang. Ich weiß schon, warum ich sonst nie in die Kirche gehe. Es wird gesungen, es wird gebetet, zwischendurch spricht Onkelchen warme Worte. Allerdings verknüpft er die Angelegenheit mit einem Fitnessprogramm, das für mich als Ex-Protestantin ungewohnt ist: Stehen, knien, stehen, knien, sitzen, dann wieder sehr lange knien, gleich darauf stehen – ich komme ganz schön ins Schwitzen und bin erstaunt, wie mühelos die vielen älteren Leutchen bei dem Tempo mitkommen.
Bogumiłs Stimme schwankt zwischen freundlich, beschwörend und streng. Ich verstehe natürlich kein Wort, bin aber sowieso damit beschäftigt, Kamil davon abzuhalten, unseren Vordermann an den Haaren zu ziehen. Ganz zum Schluss besprenkelt Bogumił mit einer Art Besen die Speisen, und schließlich ziehen wir gemeinsam singend aus der Kirche.
Zurück in Kolberg, bin ich hundemüde und ganz froh, dass sich die Familienversammlung jetzt auflöst. Aber Onkel Leszek zwingt mich, in der Küche noch einen letzten Wodka mit ihm zu trinken.
Als ich endlich im Bett liege, denke ich, dass ich ja gern noch mit Jan an unserer Legende gestrickt hätte – bestimmt ist Karolina morgen wieder wissbegierig –, aber Jan schnarcht bereits auf dem Sofa vor sich hin. Und ganz sicher lasse ich mich von Tante Małgorzata kein zweites Mal dabei erwischen, wie ich nachts ihrem Neffen nachstelle! Morgen früh ist auch noch Zeit dafür.
Wie der Mensch sich irren kann. Der nächste Tag beginnt damit, dass mir ein feuchtes Etwas ins Gesicht fliegt, das meine süßen Träume abrupt beendet. Erschrocken öffne ich die Augen und starre in die feixenden Gesichter von Kamil und Kacper, die mit großer Freude und einem nassen Waschlappen versuchen, mich zu wecken. Es ist ihnen gelungen.
Benommen taumle ich aus meinem Kabuff und sehe mit Entsetzen, dass sich die komplette Sippschaft schon wieder am Frühstückstisch im Wohnzimmer versammelt hat. Ach du meine Güte, ich habe wohl verschlafen!
Schnell husche ich ins Bad, begnüge mich mit einer Katzenwäsche und geselle mich ordentlich gekämmt und angezogen zu den anderen. Das weiße T-Shirt und die neue Unterhose leisten mir wertvolle Dienste – in Małgorzatas Schlüpfern in Konfektionsgröße 46 / 48 hatte ich mich doch ein bisschen unwohl gefühlt. Heute werde ich von allen schon so herzlich begrüßt wie ein vollwertiges Familienmitglied, und deshalb lasse ich mich auch ganz ungeniert neben Wojtek plumpsen und lange, wie die anderen, ordentlich zu.
Das Osterfrühstück ist eine wahre Völlerei, schließlich ist ab heute, wie mir Jan erklärt hat, die offizielle Fastenzeit vorbei. In der Mitte der Tafel prangt ein Lamm aus Zucker, drum herum liegen bemalte Ostereier, es gibt Schinken, anderen Aufschnitt, den ich nicht kenne, und – ha! – da sind sie endlich, die polnischen Würste. Und sie sind genau, wie Jan versprochen hat: verdammt lecker!
Feierlich nimmt Wojtek ein Ei, pellt es und gibt mir eine Hälfte davon. Dazu wünscht er mir noch viel Glück und eine gute Gesundheit. Ich bedanke mich artig. Das ist bestimmt wieder so ein polnischer Brauch, und Glück kann ich auf alle Fälle gebrauchen.
Nach dem Frühstück gelingt es mir endlich, mit Jan ein paar Worte unter vier Augen zu wechseln. »Wir müssen Oma Strelow suchen«, zische ich
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