Flitterwochen
der Autobahnraststätte vergessen. Und wir haben das erst gemerkt, als wir schon hier waren.«
»Aha. Und warum sollte ich um Himmels willen unsere Reisetaschen aus dem Auto holen und irgendwo auf der Raststätte abstellen?«
»Was weiß denn ich? Etwas Besseres ist mir gestern Nacht nicht mehr eingefallen.«
»Verstehe, und wer passt bitte schön in Lübeck auf Frau Strelow auf, wenn du mit mir in Kolberg bist?«
»Äh, die besucht einen ihrer Söhne …«
»Ich denke, ihre Kinder wollen nichts von ihr wissen? Kein Wunder, dass deine Schwester misstrauische Fragen stellt. Die Geschichte stinkt ja von vorn bis hinten!«
»Ich weiß.« Jan sieht richtig bedröppelt aus. Aufmunternd strubbel ich durch sein Haar. Ich hätte so auf die Schnelle auch keine bessere Idee gehabt. Und jetzt ist es eh zu spät, um noch etwas zu ändern. Jetzt gilt es, Oma Strelow zu finden!
»Also wie ist der Plan?«
»Schau mal«, Jan zückt eine Karte von Kolberg und macht darauf ein Kreuz. »Hier sind wir. Am besten trennen wir uns gleich. Du suchst in der Stadt, ich im Kurviertel. Den Plan bekommst du, damit du dich nicht verirrst.« Er macht zwei weitere Kreuze. »Das sind Parks, da solltest du auch suchen. Gerda ist ja gern an der frischen Luft. Wer weiß, vielleicht hockt sie da auf einer Bank und füttert Tauben. Um siebzehn Uhr treffen wir uns am Dom, wenn wir sie bis dahin nicht längst gefunden haben, und überlegen weiter.«
Getrennt suchen finde ich gut. Dann kann ich auch mal in Ruhe mit Alexander telefonieren, ohne dass Jan mit großen Ohren danebensteht. Irgendwo wird es hier ja ein Telefon geben, von dem aus ich unverdächtig anrufen kann. Voller Tatendrang schmeiße ich den Trabbi an und bringe Jan, der mir noch ein Bündel Złoty zusteckt, ins Kurviertel. Kolberg ist wirklich überschaubar, mit Hilfe der Karte bin ich in null Komma nix am Dom, parke und marschiere enthusiastisch los. So, Oma, ich komme!
Drei Stunden später ist mein Tatendrang einer mittelschweren Depression gewichen. In den Parks bin ich quasi unter jedes Gebüsch gekrochen – nichts. Ich habe auch noch einmal in jedes Restaurant und Café geschaut – nichts. Ich bin durch Wohnviertel gelaufen, habe Kinderspielplätze inspiziert – nichts. So eine alte Dame kann sich doch nicht einfach in Luft auflösen!
Meine Füße tun mir weh, und Hunger habe ich auch schon wieder. Also laufe ich zurück in die Altstadt und setze mich in ein kleines Café in der Nähe der Basilika. Bei Kaffee und Kuchen brüte ich vor mich hin.
Ob Frau Strelow tatsächlich etwas zugestoßen ist? Inständig hoffe ich, dass es ihr gutgeht. Sie hat mich zwar in die größten Schwierigkeiten meines Lebens gebracht und meine Hochzeit vereitelt, aber irgendwie ist sie mir mit ihrer tüdeligen Art in den letzten zwei Tagen auch ans Herz gewachsen. Außerdem imponiert mir ihr Sturkopf. Wie sie das Ding mit Opa Heinzis Urne durchgezogen hat – unglaublich! Oma ist ja quasi aus Liebe zur Verbrecherin geworden, das finde ich fürchterlich romantisch.
Apropos Liebe – ich rufe jetzt Alexander an! Den liebe ich schließlich, und er mich. Und wenn ich ihm alles erkläre, wird auch alles wieder gut. Dann nehmen wir einfach den nächsten Flug ins Glück. Vielleicht schaffen wir sogar unseren ursprünglichen Termin für die Trauung noch. Und falls nicht – da werden die alten Seychellianer doch mal ein Auge zudrücken, oder? Wer wird sich denn unserer jungen Liebe in den Weg stellen wollen? Eben! Genau so werde ich es Alexander gleich erklären!
Ich frage den Kellner, der fließend Englisch spricht, ob ich im Café einmal telefonieren dürfe, und wedele mit meinen Złoty. Natürlich darf ich, kein Problem. Mit zitternden Fingern wähle ich Alex’ Handynummer.
»Weltenstein?«
»Hallo, Schatz, ich bin’s.«
»Tine?«
»Natürlich Tine. Oder kennst du noch mehr Frauen, die dich Schatz nennen?«, wage ich einen kleinen Scherz. Das war wohl der falsche Gesprächseinstieg, Alexander ist überhaupt nicht zu Scherzen aufgelegt.
»Wo steckst du?«, brüllt er los. »Ich habe hier die allergrößten Probleme deinetwegen. Die Polizei sucht dich immer noch und verhört mich ständig! In der Bank! Kannst du dir vorstellen, was das für meinen Ruf bedeutet?«
»Alex, ich …«
»Ich musste unsere Flüge stornieren. First Class mit Limo-Service zum Flughafen. Weißt du eigentlich, was allein das gekostet hat?«
Ach, so ist das also, dem Herrn Banker geht’s um sein schönes
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