Flitterwochen
ihm zu, während wir die Teller in der Geschirrspülmaschine verstauen. »Deswegen sind wir hier. Nicht, um mit deiner Familie Ostern zu feiern.«
»Ich weiß, ich weiß«, antwortet Jan leicht genervt. »So war das ja auch nicht geplant. Aber was soll ich machen?«
»Ja, ich weiß«, sage ich, »die sind ja auch alle echt nett. Trotzdem: Wie kommen wir denn jetzt mal für ein paar Stunden raus?«
Jan überlegt kurz, dann hat er die zündende Idee. »Ich sag einfach, dass ich dir noch das Kurviertel zeigen muss. Weil du eine alte Tante hast, die überlegt, ihren Lebensabend in Polen zu verbringen, wegen billiger und so. Und in Kolberg gibt’s extrem viele Altersheime und Seniorenstifte.«
»O Mann«, stöhne ich. »Was ist das denn wieder für eine Geschichte? Das glaubt uns doch kein Schwein! Können wir nicht einfach sagen, dass wir ein bisschen spazieren gehen?«
»Nee«, entgegnet Jan trocken, »denn dann will garantiert einer mitkommen. Oder Karolina versucht, uns Kamil und Kacper aufs Auge zu drücken, weil frische Luft für Kinder ja so gut ist.«
Also tischt er seiner Verwandschaft die nächste unglaubliche Story auf, und alle nicken verständnisvoll. Nur Karolina runzelt die Stirn. Die glaubt uns natürlich kein Wort! Mit dem Versprechen, zum Abendbrot zurück zu sein, gelingt uns ein einigermaßen eleganter Abgang.
Das Kurviertel von Kolberg ist ziemlich groß, imposante Gründerzeit-Villen wechseln sich mit den hier offensichtlich obligatorischen Plattenbauten ab, es gibt zahlreiche Hotels, die ihr Angebot ganz auf ihre gebrechliche Kundschaft abgestimmt haben – mit Thermen, Ergotherapie und Massage-Praxen.
Wieder stromern Jan und ich durch die Straßen, er fragt Passanten aus und erntet nur Schulterzucken.
Als ich drei Stunden später kurz vorm Verzweifeln bin, sagt er zögernd: »Tine, es hilft ja alles nichts. Wenn wir Gerda bis heute Abend nicht gefunden haben, müssen wir zur Polizei gehen und eine Vermisstenanzeige aufgeben. Oma ist zwar ein harter Knochen, aber so langsam mache ich mir ernsthaft Sorgen, dass ihr doch etwas zugestoßen sein könnte.«
»Wie stellst du dir das denn vor?«, fahre ich ihn an. »Soll ich einfach auf eine polnische Polizeiwache marschieren und sagen: Hallo, ich bin Tine Samstag. In Deutschland haben sie mich wegen Kidnapping und Bankraub zur Fahndung ausgeschrieben. Leider ist mir unterwegs meine Geisel verlorengegangen. Können Sie mir helfen, sie zu finden?«
»Hast ja recht«, seufzt Jan, »das ist keine so gute Idee. Na komm, weiter geht’s. Bis es dunkel wird, dauert es ja noch eine Weile …«
Gefühlte zwanzig Stunden später – meine Füße brennen schon wieder wie Feuer, und wir sind kurz davor, aufzugeben – gelingt uns endlich der Durchbruch! Am Empfang eines dieser Seniorenbunker horcht Jan den Rezeptionisten aus, und der kann sich tatsächlich lebhaft an Gerda Strelow erinnern. Aufgeregt redet der Mann auf Jan ein, und der redet genauso aufgeregt zurück.
Noch aufgeregter zupfe ich Jan unentwegt am Ärmel. »Was hat er gesagt? Was hat er gesagt?«
»Psst, Tine, ich versteh sonst nix.«
Nach ein paar Minuten breitet Jan freudestrahlend die Arme aus. »Stell dir vor«, ruft er, »Gerda war hier und hat sich nach einem Platz in einem Seniorenwohnheim erkundigt. Der Herr vom Empfang konnte ihr zwar selbst keinen Platz anbieten, hat sie aber mit einer Liste möglicher Häuser versorgt, und dann ist sie losgedackelt.«
»Her mit der Liste!«, schreie ich.
Jan wedelt triumphierend mit einem Zettel, allerdings gerät sein Grinsen etwas schief. »Also, das sind ungefähr fünfundvierzig Adressen. Die müssen wir abklappern.«
»Hauptsache, wir haben endlich eine konkrete Spur!«, rufe ich erleichtert.
»Die werden wir heute aber nicht mehr alle schaffen. Dafür ist es schon zu spät.«
»Nix da! Das ziehen wir jetzt in einem Rutsch durch, und wenn es die halbe Nacht dauert!«
»Tine!« Jan rollt mit den Augen. »Nun komm mal wieder runter! Wir können doch zu dieser vorgerückten Stunde keine alten Leute mehr aus dem Bett klingeln. Die jagen uns doch vom Hof.«
»Aber …« Ich sehe ein, dass er da recht haben könnte. Also beschließen wir, noch ein gutes Stündchen weiterzumachen und dann zu Tante Małgorzata zurückzufahren. Wir schaffen in dieser Zeit gerade mal zehn Altenheime, aber in einem davon erinnert sich die Leiterin nur allzu genau an Oma.
Schnippisch erklärt die Dame uns, dass Frau Strelow ihr Haus offensichtlich nicht
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