Flöte und Schwert
des Mülls stellte der Küchenmeister seinem Gehilfen ein Bein, sodass dieser unter dem Kichern der Sklavinnen in die stinkende Abfallgrube stürzte. Am nächsten Tag befahl er Omar, einen von Würmern zerfressenen Apfel aufzuessen; am übernächsten hielt er heimlich den eisernen Griff des großen Schöpflöffels in die Flammen und brüllte vor Lachen, als Omar sich die Hand daran verbrannte. Omars Hass auf Ragheb wuchs von Stunde zu Stunde, aber er ließ sich seine Gefühle niemals anmerken.
Bleibe unauffällig!
, mahnte er sich, wenn sein Zorn übermächtig zu werden drohte.
Eines Abends traf sich Ragheb mit den Kriegern zum Würfeln. Amre, der auf der Treppe des Lagerhauses kauerte, beobachtete die Männer. „Einen Kanten Brot, dass es Streit gibt“, murmelte er.
Omar holte den Rest seines Brotes hervor und legte ihn auf die Stufen. „Ich halte dagegen.“
Ragheb ließ die Würfel in seiner Faust klappern und blickte herausfordernd in die Runde. Schließlich setzte sich ein Krieger, dessen Gesicht von unzähligen Narben zerfurcht war, an den Tisch. Amre sog scharf die Luft ein. „Bahir. Du hast schon verloren, mein Freund.“
Omar kannte Bahir. Der Krieger war ein Ochse von einem Mann, dem man nachsagte, er könne ein Mühlrad zehn Schritte über den Hof tragen. Kein Tag verging, an dem er nicht in ein Handgemenge verwickelt war. Sprechen konnte er nur wenige Worte; Omar hatte aus Bahirs Mund selten etwas anderes als Brüllen oder Knurren gehört.
Abwechselnd machten die beiden Männer ihre Würfe. Das Glück schien mit Ragheb zu sein, denn der Küchenmeister wurde immer ausgelassener, und sein Münzstapel wuchs. Nach der zehnten Runde wischte Bahir die Würfel vom Tisch. Ragheb geriet darüber in Zorn, Beleidigungen flogen durch die Luft, Bahir warf den Tisch um, dann gingen die Kolosse unter dem Johlen der Krieger aufeinander los.
„Bruderliebe“, murmelte Amre.
Omar sah ihn fragend an.
„Ragheb und Bahir sind Zwillinge“, erklärte der Ägypter, „sie hassen einander bis aufs Blut.“
„Wieso?“
Amre zuckte mit den Schultern. „Warum balgen sich Hunde?“
Der Hauptmann stürmte über den Hof, Befehle brüllend, und die Männer versuchten, die Streithähne zu trennen. Amre hob das Brot auf und betrachtete es versonnen. „Mein Freund, heute Abend wirst du wohl hungrig zu Bett gehen.“ Dann ließ er es in seiner Hosentasche verschwinden, spuckte seinen Strohhalm aus und schlurfte davon.
Einige Tage später hörte Omar den Klang einer Laute, während er Wasser vom Brunnen holte. Die Musik kam vom Gesindehaus; ein Diener stimmte ein altes Volkslied an. Der Rhythmus des Spiels war ein wenig schleppend, gelegentlich schlich sich ein falscher Ton ein, und doch berührte die Melodie Omars Herz. Es war so lange her, dass er den Klang eines Instruments gehört hatte. Voller Wehmut dachte er an seine Flöte, die verloren gegangen war. Er war daran gewöhnt, jeden Morgen und jeden Nachmittag zwei Stunden zu üben, doch seit mehr als zwei Wochen hatte er gar nicht gespielt. Sicher war er schon ganz eingerostet.
Ein Stoß in den Rücken brachte ihn ins Taumeln, das Wasser schwappte aus den Eimern. Omar fuhr herum, eine zornige Bemerkung auf den Lippen, aber dann sah er Bahir und hielt inne. Der Krieger beachtete ihn nicht weiter. Wie in Trance schlurfte er über den Hof, setzte sich vor dem Gesindehaus auf den Boden – und lauschte. Erst saß er regungslos da, dann knetete er mit der rechten Pranke sein linkes Handgelenk, als versuchte er, einen festsitzenden Armreif abzustreifen. Schließlich wiegte er seinen massigen Oberkörper zu den Lautenklängen. Erschüttert starrte Omar den Hünen an. Erst gestern hatte er beobachtet, wie Bahir eine streunende Katze eingefangen und ihr, rein zum Vergnügen, die Augen ausgestochen hatte.
Derselbe Mann war bei der Melodie eines einfachen Beduinenlieds wieder zum Kind geworden.
Das Licht der sinkenden Sonne ließ die Dächer der Türme in feuriger Glut erstrahlen, und der Schatten der Westmauer war bis zum Brunnen gekrochen. Omar saß auf der Mauer, die das flache Dach des Küchengebäudes umgab. Einen Monat war es jetzt her, dass er Nadirah zuletzt gesehen hatte, damals im Zelt des Sklavenhändlers. Während der Schinderei der letzten Wochen war er meist zu erschöpft gewesen, um sich nach ihr zu verzehren. Doch Ragheb verlor allmählich das Interesse an ihm; die Demütigungen wurden seltener, und die Arbeit, die Omar verrichten musste, reduzierte
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