Flöte und Schwert
sich auf ein erträgliches Maß. Damit kehrte auch seine Sehnsucht nach Nadirah zurück. An den Abenden saß er hier oben auf dem Dach und beobachtete die Gemächer Al Tufails, in der Hoffnung, Nadirah würde sich wenigstens für einen Augenblick an einem Fenster zeigen. Er dachte an die Tage in Mekka, als sie glücklich gewesen waren, versuchte, sich ihr Gesicht vorzustellen. Von Tag zu Tag wurde die Erinnerung daran blasser. Bald würde sie nur noch ein Schatten sein.
„Sklave!“
Omar wandte den Kopf und entdeckte einen Diener, der den Hof überquerte. „Komm her!“, rief der Mann.
Omar gehorchte. Der Diener musterte ihn von oben bis unten und rümpfte die Nase. „Du stinkst, Sklave. Wasch dich. Der Herr will, dass du für ihn spielst.“
Innerlich zuckte Omar zusammen. „Ich soll ... für ihn spielen? In seinem Gemach?“
„Hörst du schlecht? Komm jetzt!“
Benommen folgte Omar dem Diener. Im Badehaus wusch er sich gründlich, dann bekam er frische Kleider. Seine Hände zitterten, als er sich anzog.
Nadirah
, dachte er,
Nadirah ...
Seine Hoffnung auf ein Wiedersehen würde sich vielleicht erfüllen, jetzt, in dieser Stunde. Aber warum fürchtete er sich dann so sehr?
Als sie das Badehaus verließen, erwartete Omar, zum Eingang des palastartigen Gebäudes geführt zu werden. Stattdessen schlug der Diener den Weg zum Gesindehaus ein. Dort stiegen sie eine Treppe hinunter und gingen durch eine Reihe von Kellerräumen, deren Wände – soweit sie hinter all den eingelagerten Kisten, Säcken und Fässern zu sehen waren – aus nacktem Fels bestanden. Der Diener hatte eine Laterne bei sich. Dann ging es eine gewundene Treppe hinauf, und sie gelangten in ein hohes Gemach voller Teppiche und geschnitzter Möbel.
Blasses Licht fiel durch die Fensterschlitze, und die Luft war erfüllt von den Düften glimmenden Sandelholzes und frischer Orangen. Omar bemerkte auf der anderen Seite des Raumes eine schlanke, schwarzhaarige Frau. „Nadirah!“, entfuhr es ihm. Die Frau hob den Kopf; sie war jung, schön, mandeläugig – aber nicht Nadirah. Dann verschwand sie lautlos hinter einem Vorhang, und Omar wusste nicht mehr, ob sie wirklich da gewesen oder seiner Einbildung entsprungen war.
Im gleichen Augenblick packte ihn der Diener am Arm. „Still!“, zischte dieser, „sprich nur, wenn er dich anredet. Hier, nimm diese Flöte. Ich rate dir, spiele gut!“
Omar betrachtete das Instrument in seiner Hand und strich über das gemaserte Holz. Ein gutes Stück, zweifellos. Als er aufblickte, war der Diener fort. Zögernd ging Omar in den Raum hinein, vorbei an den hölzernen Stellwänden. Das Zimmer war größer, als es zunächst gewirkt hatte.
„Der singende Koch!“, rief eine Stimme. „Sei willkommen in meinen Gemächern.“
Omar fuhr herum. In einer Nische zu seiner Rechten entdeckte er Ashraf Al Tufail. Der Edelmann lag auf einem Diwan und griff mit seiner schlanken, blassen Hand nach einer Schüssel mit Orangen. In den Kissen, die den Diwan umgaben, lag Nadirah. Sie trug ein Kleid aus blauem, fast durchsichtigem Tuch, ihre Haare waren hochgesteckt. Erstarrt hielt Omar den Atem an. Wie schön sie war! Das Bedürfnis, zu ihr zu laufen, sie zu berühren, sie in die Arme zu nehmen, überwältigte ihn schier. Nadirah hingegen musterte ihn wie einen Fremden, ohne ein Anzeichen der Freude. Fürchtete sie sich, in der Gegenwart Al Tufails ihre Gefühle zu zeigen?
Der Edelmann begann, eine Frucht zu schälen. „Komm näher, Koch. Ich sehe, man hat dir eine Flöte gegeben. Unterhalte mich mit deinem Spiel.“
Es kostete Omar große Mühe, den Blick von Nadirah zu lösen, und er bezwang seine Verwirrung. „Sagt mir, was Ihr hören wollt, Herr.“
„Spiel das Lied vom Sperling und der Libelle.“
Omar zuckte innerlich zusammen. Nadirahs Lieblingslied! War es ein Zufall, dass Al Tufail ausgerechnet dieses Lied ausgewählt hatte? Oder trieb er einen grausamen Scherz mit Omar? „Ich ... kenne dieses Lied nicht.“
„Oh, gewiss kennst du es. Jedes Kind kennt es.“
Also steckt Absicht dahinter!
, dachte Omar. „Vielleicht könnte ich Euch ein anderes Lied ...“ Dann verstummte er, denn Al Tufails Gesicht hatte einen Ausdruck angenommen, der ihn erschreckte.
„Spiel es“, befahl der Edelmann leise.
Omar beeilte sich, auf den Stufen Platz zu nehmen, die zur Nische hinaufführten. Verstohlen sah er zu Nadirah. Sie fächelte sich Luft zu und blickte an ihm vorbei. In Omars Kopf drehte sich alles, als er das
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