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Flöte und Schwert

Flöte und Schwert

Titel: Flöte und Schwert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Lode
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Mundstück der Flöte mit seinen Lippen umschloss. Das Elfenbein fühlte sich fremd an. Hatte er jemals Flöte gespielt? Es schien tausend Jahre her zu sein.
    Zögernd stimmte er eine Tonfolge an, um ein Gefühl für das Instrument zu bekommen. Hell und klar erfüllte die Melodie die Stille, und plötzlich war alles wieder da: seine Liebe zur Musik, die vielen Tausend Stunden, die er mit Üben verbracht hatte. Seine Unsicherheit, seine Furcht lösten sich auf. Al Tufail sollte sein Lied bekommen! Omar schloss die Augen und ließ sich von der Melodie davontragen. Er war wieder im Garten von Nadirahs Vater, an jenem Festtag vor zwei Jahren, als er Nadirah zum ersten Mal gesehen hatte. Man hatte ihn geholt, damit er die Gäste mit seiner Musik zerstreute, doch als er Nadirah entdeckte, spielte er nur noch für sie. Bis zum Ende des Fests weit nach Mitternacht wich sie nicht mehr von der kleinen Bühne. Ihr Lächeln war der größte Lohn, den Omar je für sein Flötenspiel bekommen hatte. Auch jetzt, in Al Tufails Gemach, ließ Omar seine Flöte vom Streit zwischen Libelle und Sperling erzählen, blies zwitschernde Träller und fröhliche Klangfolgen, dann wieder wehmütige Passagen. Jeder Ton war ein Geschenk an Nadirah, genau wie damals im Garten. Die Melodie wurde höher, ausgelassener, und Omar wiederholte das Hauptmotiv wieder und wieder, bis es seinen hypnotischen Zauber entfaltete. Schließlich nahm er seinem Spiel die Wildheit, und das Lied klang aus. Sperling und Libelle gingen in Freundschaft auseinander.
    Dann war es still im Gemach. Omar ließ die Flöte sinken und musterte Nadirah. Er hatte auf ein Lächeln, ein verstohlenes Augenzwinkern gehofft, doch ihr Gesicht trug noch immer einen teilnahmslosen Ausdruck. Hatte sie das Lied überhaupt gehört?
    Das Klatschen des Edelmanns hallte durch die Stille, langsam, spottend. „Du bist ein vortrefflicher Musiker, Koch. Dein Spiel hat mir Freude bereitet.“
    Omar ballte seine Rechte zur Faust, um das Zittern zu unterdrücken. „Ich habe nicht für Euch gespielt“, sagte er leise.
    Al Tufail hob eine Augenbraue. „Für wen sonst? Etwa für das Mädchen? Dann war deine Mühe umsonst – deine Musik bedeutet ihr nichts mehr.“
    Amres Worte kamen Omar in den Sinn:
Man sagt, er sei ein Zauberer ...
„Was habt Ihr mit Nadirah gemacht?“
    Der Edelmann streckte seine Hand aus und strich über Nadirahs Wange. Sie schloss die Augen und neigte den Kopf, die Berührung wie eine Katze genießend. „Ich gab ihr alles, was sie wollte. Sieh dich um. Sie lebt in einem Palast. Sie hat Diener, Sklaven, Schmuck, die feinsten Speisen. Das Leben in Armut, das du ihr zugemutet hast, ist vorbei. Bald schon wird sie dich vergessen.“
    „Ihr habt sie verhext!“, stieß Omar hervor.
    „Rede nicht von Dingen, die du nicht verstehst, Sklave“, erwiderte Al Tufail und klatschte zweimal in die Hände. „Diener! Entfernt den Koch. Er beginnt, mich zu langweilen.“
    Omar stürzte nach vorne und griff nach Nadirahs Hand, gleichgültig gegenüber den Folgen seines Tuns. Sollte Al Tufail ihn auspeitschen lassen! Es spielte keine Rolle mehr. „Nadirah! Bitte, sprich mit mir! Sag mir, dass er lügt!“
    Sie riss die Augen auf und starrte ihn an, dann wurde Omar von hinten gepackt und weggezogen. „Nadirah!“, schrie er noch einmal, dann traf ihn etwas Hartes, Kantiges an der Schläfe. Schmerzen rasten durch seinen Schädel, seine Beine gaben nach, und er stürzte in die Finsternis.
     
    Als Omar die Augen aufschlug, pochte es hinter seiner Stirn. Sein Kopf fühlte sich an wie aufgebläht. Irgendwo glühte gelbes Licht. In seinem Mund schmeckte es nach Erbrochenem. Bei Allah, hatte er am vergangenen Abend mit Freunden getrunken?
Ich habe mir doch geschworen, keinen Wein mehr anzurühren ...
    Vorsichtig führte Omar die Hand zu seinem Kopf und berührte etwas Kühles. Ein feuchtes Tuch. Beim Versuch, sich aufzusetzen, wallte entsetzlicher Schmerz in seinem Nacken auf, und er sank stöhnend zurück auf die hölzerne Pritsche. Als die Blitze nicht mehr vor seinen Augen tanzten, bemerkte er, dass das gelbe Licht nun neben seinem Kopf schwebte. Omar blinzelte und sah eine Hand, die einen Kerzenstummel hielt. Der Lichtschein fiel auf Amres grinsendes Gesicht. „Der tapfere Held hat sein Abenteuer lebendig überstanden“, murmelte der Ägypter, „wenn auch nicht unbedingt siegreich. Hier, trink.“
    Erbarmungslos kehrte die Erinnerung an die Ereignisse in Al Tufails Gemach zurück. Omar

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