Flöte und Schwert
sich entfernt hatte, spuckte der Hüne aus. „Bastarde! Aber so einfach werden sie mich nicht ersetzen. Ragheb lässt sich nicht von seinem Posten vertreiben, schon gar nicht von einem Mädchen. Hast du verstanden?“
Omar senkte den Blick und murmelte ein „Ja“. Die Erniedrigung machte ihm schwer zu schaffen. Doch seine Erfahrungen mit Männern vom Schlage des Hünen hatten ihn gelehrt, dass es töricht war, die offene Auseinandersetzung zu suchen. Wenn er an diesem Ort überleben wollte, musste er unauffällig sein und um Stärke beten, die Demütigungen zu ertragen. Mit Allahs Hilfe würde sich vielleicht irgendwann eine Gelegenheit bieten, Nadirah zu befreien und zu entkommen.
„Wir werden sehen, wie lange du durchhältst“, knurrte Ragheb. „Unten stehen Kisten mit Äpfeln. Schaff sie rauf!“
Omar kam der Aufforderung ohne zu murren nach, obwohl er sich vor Erschöpfung kaum noch auf den Beinen halten konnte. Als er fertig war, ließ Ragheb ihn den Boden der Küche schrubben und danach den von Ruß verkrusteten Ofen reinigen. Die höhnischen Bemerkungen des Hünen ignorierend, verrichtete Omar auch diese Arbeiten. Seine Finger bluteten, in seinem Kopf dröhnte es, und er schaffte es gerade noch zum Schlaflager aus fauligem Stroh, das sich in einem dunklen Nebenraum befand. Bald schlief er ein und träumte von Nadirah, die sich den Berührungen des Edelmanns hingab.
Am nächsten Morgen lernte Omar den Sklaven Amre kennen, einen Mann aus Ägypten, der in der Schmiede schuften musste. Von Omar unbemerkt, hatte er auf einer Pritsche an der Zellenwand geschlafen. Bei einer Mahlzeit aus trockenem Brot und Wasser kamen die beiden Männer ins Gespräch, und so erfuhr Omar, dass der Herr der Bergfestung Ashraf Al Tufail hieß.
„Erzähl mir von ihm“, bat er Amre.
Der Ägypter vergewisserte sich, dass Ragheb nicht in der Nähe war, und senkte seine Stimme zu einem Flüstern. „Man sagt, er sei ein Zauberer. Manchmal hört man nachts aus seinen Gemächern Geräusche, die einen Mann vor Angst um den Verstand bringen können. Wispernde Stimmen, wie das Knistern von tausend Jahre altem Pergament. Ich weiß nicht, welche Dinge dort vor sich gehen, und Allah möge verhüten, dass ich es jemals erfahre!“
Omar musterte Amre. Die Furcht in dessen Augen war echt; es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass er sich einen Spaß aus Omars Unwissenheit machte. „Wie lange hält man dich schon hier gefangen?“
„Vierzehn lange Monate.“
„Hast du nie versucht zu entkommen?“
„In den ersten Wochen meiner Gefangenschaft dachte ich an nichts anderes als an Flucht. Heimlich traf ich mich mit Abdul, einem anderen Sklaven, und sprach mit ihm über mein Vorhaben. Abdul ließ sich von meiner Tatkraft anstecken, und wir begannen, einen Fluchtplan zu entwerfen. Aber Abdul war jung und ungeduldig. Er konnte nicht bis zum geeigneten Zeitpunkt warten. Eines Nachts stahl er sich aus unserem Schlaflager und kletterte im Schutz der Dunkelheit über die Mauer. Bei Allah, Abdul konnte klettern wie ein Affe! Seine Flucht wurde jedoch rasch bemerkt, und der Hauptmann sandte Reiter aus, ihn zu suchen. Im Morgengrauen bekamen sie ihn zu fassen. Dieser Teufel Al Tufail ließ ihn im Hof an einen Pfosten binden und auspeitschen. Abdul ertrug die Peitschenhiebe ohne einen Laut der Klage. Erst als die Sonne höher und höher stieg, brach sein Wille, und er flehte um einen Becher Wasser. Ich wollte seinen Wunsch erfüllen, doch die Krieger ließen mich nicht zu ihm. Dann, zur Mittagsstunde, geschah etwas, an das ich mich bis an mein Lebensende erinnern werde: Abdul wand sich in den Fesseln und schrie vor Qual. Seine Haare begannen zu schwelen, die Haut warf Blasen, dann brachen Flammen aus seinen Augen hervor und verzehrten ihn bei lebendigem Leib! Der Anblick war so furchtbar, dass nicht einmal die hartgesottenen Krieger ihn ertrugen. Al Tufail beobachtete das Geschehen von seinem Balkon, ein dünnes Lächeln auf den Lippen.“ Amre malte mit der Hand ein Zeichen gegen das Böse in die Luft. „Jetzt weißt du, warum ich jeden Gedanken an Flucht schon vor langer Zeit aufgegeben habe.“
Omars Kopf war voller Fragen, doch bevor er sie stellen konnte, betrat Ragheb die Küche. Amre senkte rasch den Blick und tat von nun an so, als interessiere er sich nur noch für das trockene Brot.
Die Tage vergingen. Omar musste die härtesten Arbeiten verrichten, und Ragheb ließ keine Gelegenheit aus, ihn zu erniedrigen. Beim Fortbringen
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