Florentinerpakt
wie.
»Ich helfe, wo ich kann«, erklärte sich der alte Herr bereit.
»Gut, dann fangen wir
gleich damit an. Fahren Sie jetzt bitte mit dem uniformierten Kollegen ins
›Safe and Deposit‹ und holen Sie den Inhalt des Koffers ab. Der wird sich sehr
wahrscheinlich noch da befinden«, forderte ihn der Oberinspektor auf. »In
irgendeinem Sack, Karton oder sonst einem unauffälligen Behältnis.«
*
Winnie, der Zeuge der Ereignisse vor der
Parkgarage gewesen war, war sehr mit sich zufrieden. Jetzt war der Koffer weg,
der Inhalt bis auf einen ganz bestimmten Gegenstand noch sicher im Tresor, und
niemand konnte Erwin einen Vorwurf machen. Vor Überfällen dieser Art war man
halt auch in Wien nicht sicher, auch wenn die offiziellen Stellen immer so
taten, als ob so etwas in dieser Stadt nicht vorkommen konnte. Noch dazu war
die Notariatskanzlei gegen solche Vorfälle sicher versichert, sodass die beiden
über gebliebenen ›Siebener‹ sogar noch Geld bekamen. So gesehen war ja niemandem
wirklich ein Schaden entstanden.
Wie es wohl Tatjana ergangen war? Er holte sein Handy hervor
und drückte die entsprechende Kurzwahltaste. Seine Partnerin und Liebe seines
Lebens, auch wenn er sich das nicht immer eingestand, war schon in der Lodge
eingetroffen.
»Der Koffer ist weg«,
berichtete sie ihm. »Ich bin aber nicht ganz sicher, ob er auch untergegangen
ist.«
»Warum tholl der Koffer nicht untergegangen thein?« Physik
war nicht gerade Winnies Stärke. Immerhin war das gute Stück ja aus Metall, und
das war nun einmal schwerer als Wasser.
»Das schon«, erwiderte die junge Frau. »Durch die Luft im
Koffer ist aber ein starker Auftrieb gegeben. Vielleicht hätte ich Wasser
einfüllen sollen, damit er schwerer wird?«
»Na, wenn schon«, meinte er leichthin, »die Bullen thind
ohnehin zu blöd, dath wird schon in Ordnung gehen.«
Für den Nachmittag hatte
Tatjana den Friseur und den Besuch einer Freundin in Mistelbach auf dem
Programm. Sie wollte gegen 20 Uhr wieder zu Hause sein.
Und so überlegte Winnie, wie er den freien Nachmittag
gestalten sollte. Irgendwie ließ ihn diese Unruhe nicht los, die ihn erfasst
hatte, nachdem er Erwin ins Polizeiauto hatte steigen sehen. Vielleicht sollte
er seinen Bruder kurz anrufen und schauen, ob alles paletti war. Kurz
entschlossen wählte er Erwins Handy an. Nach dem dritten Signal meldete sich
jemand, von dem Winnie nur eines wusste. Nämlich, dass es nicht sein Bruder
war. Das bedeutete nichts Gutes, sein mobiles Kommunikationszentrum war Erwin
heilig, er würde es nie freiwillig aus der Hand geben. Was konnten die
erbsenzählenden ›Mistelbacher‹ * Erwin schon vorwerfen. Dass die Scheißbriefmarken oder das Bild mit der
komischen Coca-Cola-Dose nicht mehr da war? Das war doch lächerlich. Hatten die
Leute wirklich keine anderen Sorgen?
Unbewusst hatte er seinen
Wagen in Richtung Döbling gelenkt und eben den Anfang der Heiligenstädter
Straße erreicht. Vielleicht wäre es gar nicht schlecht, an Ort und Stelle
einmal nach dem Rechten zu sehen. Falls Erwin Schwierigkeiten haben sollte,
musste Winnie sich etwas einfallen lassen. Sein Bruder hatte ihn immer gegen
die anderen beschützt. Falls notwendig, würde er jetzt eben einmal seinem
Bruder helfen. Er hatte keine Ahnung, wie, aber ihm würde schon etwas
einfallen. Ihm war noch immer etwas eingefallen.
*
»Auch wenn Sie nicht der sind, den wir
eigentlich gesucht haben, so befinden Sie sich doch in keiner sehr guten
Position, Herr Dr. Jacomi.« Wallner versuchte sein Bestes, den Notar zum
Sprechen zu bringen. Bis auf ›Sommer, Sonne und Musik‹ hatte Dr. Erwin noch
nichts Sachdienliches von sich gegeben. »Sagen Sie uns wenigstens, warum Ihr
Bruder alles versucht, die Anspruchsberechtigten daran zu hindern, den
ursprünglichen Inhalt des Metallkoffers zu sehen?«
Jacomi blickte nach wie vor durch die Glasfront auf die
davorliegende Terrasse und schwieg.
»Sie wissen genau, dass wir die Antwort finden werden, sobald
Ihr Onkel mit den Gegenständen der ›Siebener-Tontine‹ zurückkommen wird. Und
Sie wissen auch, dass das geschehen wird, denn Sie selbst haben den Koffer
geleert und die Sachen herausgenommen. Was kann denn so belastend sein, dass
Ihr Bruder allein in den letzten Tagen versucht hat, drei, nein vier Menschen
deswegen zu töten? Und eine mehr oder weniger unbeteiligte Person in die Luft
zu sprengen. Diese Frau ist tot.«
Wallner
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