Florian der Geisterseher
lassen. Nachher beim Abendessen würde er sie fragen. Das war ja schon in einer halben Stunde! Die Beschäftigung mit der Zeitlosigkeit steckte offenbar an. Die Zeit verging tatsächlich schneller. Jedenfalls kam es ihm so vor.
Da Florian noch duschen wollte, wurde es mit dem Stall nichts mehr.
Nur nichts vergessen, was ich sie fragen will! — hämmerte er sich ein. Als er der Tante dann gegenübersaß, war er so hungrig, daß er zunächst überhaupt nichts fragen konnte. Ihr schien das recht zu sein, sie hatte den ganzen Tag Antworten geben müssen.
Nach einer Weile drehte sie den Spieß um und stellte ihrerseits Fragen. Ganz einfache Fragen. Wie seine Mutter kocht. Ob sein Vater Karten spiele. Welches Fach ihm in der Schule das liebste sei. Hätte Florian nicht gewußt, daß sie sich dabei erholte, hätte er ebenso dumme Antworten gegeben. So aber bemühte er sich, alles ordentlich zu erklären. Das gefiel der Tante. Sie lachte oft oder machte alberne Bemerkungen, und als er sich mit einem Kuß von ihr verabschiedete, sagte sie: „Das war jetzt richtig gemütlich, Flori !“
Da konnte er ihr nicht zustimmen. Aus seinem tiefschürfenden Gespräch war nichts geworden.
Der Rücken tat ihm weh vom Umgraben und der Bauch spannte vom vielen Essen. Florian ging auf sein Zimmer. Ganz langsam diesmal. Er öffnete die nicht mehr quietschende Tür und plumpste aufs Bett.
Ein voller Tag! dachte er noch. Dann fielen ihm die Augen zu. Irgendwas war mit seinen Füßen los. Sie bewegten sich von selbst. Oder kam ihm das nur so vor? Normalerweise gibt ja das Gehirn auf besonderen Wunsch den Befehl an den Muskel, das zu tun, was eben gewünscht wird. Florian aber wünschte sich nur Ruhe und das hieß: keine Muskelbewegung. Was also war da los?
Er öffnete die Augen und sah Agathe, behutsam damit beschäftigt, ihm die Schuhe auszuziehen. Sein Blick entging ihr nicht.
„Ich wollt’s dir nur bequemer machen, und jetzt hab ich dich geweckt!“ sagte sie. „Tut mir leid.“
„Wie... wie spät ist es denn?“ fragte er.
„Gleich zehn“, antwortete sie.
„Dann hab ich... dann hab ich zwei Stunden geschlafen!“ rechnete Florian. „Von was bin ich nur so müde?“
„Zieh dich aus und leg dich richtig rein, wo du jetzt schon wach bist!“ riet sie ihm. „Ich geh auch schlafen. Gute Nacht.“ Sie ging zur Tür.
Florian gähnte, streckte sich und setzte sich auf. Ins Bett gehen, solang man wach ist! Das war eine gute Idee. Er stand auf, deckte das Bett ab und zog sich aus. Wo zum Teufel war nur der Schlafanzug? Gestern hatte er ihn ja gar nicht angezogen. Demnach mußte er dort sein, wo er ihn aus dem Koffer hingeräumt hatte. Richtig, in der Kommode!
Ihm war kühl geworden. Das Fenster stand offen, und draußen regnete es. Er beeilte sich, kroch unter die Decke, kuschelte sich zurecht und zog die Schnur an der Wand. Das Oberlicht erlosch. Jetzt brauchte er nur wieder einzuschlafen. Aber wie? War Agathe schuld, das kühle Bett oder der Umstand, daß er aufgestanden war — jedenfalls lag er wach, wie nach zehn Flaschen Cola. Vielleicht lag es auch am Regen, der ziemlich laut plätscherte. Ging es Agathe ebenso? Ich kann sie ja mal fragen, entschied Florian, zog an der Lichtschalterschnur und stand auf. Um die Schuhe machte er einen großen Bogen, denn die waren letzten Endes schuld an seiner gestörten Nachtruhe.
Wie gut, daß die Tür nicht mehr quietschte! Durch das Schlüsselloch gegenüber schimmerte Licht. Ein kurzes Klopfen, ein erschrecktes „ Flori , bist du’s?“, und geräuschlos trat er ein. Ihre Tür hatte er ja auch geölt.
Agathe lag schon im Bett und hielt eine Illustrierte in der Hand.
„Kannst du auch nicht einschlafen?“ fragte Florian.
„Ich hab’s noch nicht probiert“, antwortete sie.
„Ich bin blödsinnig wach. So ein Mist!“ schimpfte er. „Reden wir noch ein bißchen?“
„Aber nicht lange.“ Es klang nicht grade begeistert. Doch sie legte die Zeitschrift weg.
Florian ließ sich am Fußende des Bettes nieder und spielte mit den nackten Zehen in dem Tierfell. Das Fenster stand offen, der Regen rauschte, und er wußte nicht, was er sagen sollte. „Du hast ein toll breites Bett!“ fiel ihm endlich ein. „Und so schön nieder.“
„Das gehört auch mir“, antwortete sie. „Und das Gamsfell am Boden auch.“
„Aha, Gams ist das. Hast du sie geschossen?“
„Nein. Mein Vater.“
„Wenn ich hier wohnen müßte, würde ich auch mein Bett mitbringen.“ Über den
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