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Florian der Geisterseher

Florian der Geisterseher

Titel: Florian der Geisterseher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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August und schloß das Wandschränkchen, als Florian vom Frühstück aus der Küche kam.
    Der schluckte erst mal. „Jetzt? Wieso?“
    „Die Dame, die eigentlich dran war, hat eine Blinddarmreizung — das kommt von der Aufregung — , und wenn ich jetzt jemand anderen drannehme, kommt mir der ganze Wandschrank... äh, ich meine Terminkalender, durcheinander.“
    „Ich... ich muß was zum Schreiben holen!“ stotterte Florian und wollte die Treppe hinauf.
    August hielt ihn am Arm fest. „Madame hat alles. Bei den schwierigen Fragen, die wir oft beantworten, gehört das zum Kundendienst.“
    Und ehe er sich’s versah, saß Florian auf dem Besucherstuhl, neben sich den Tisch, an dem sie sonst aßen. Darauf Block und Bleistift.
    Die grünen Augen strahlten ihn an. „Also, Flori , schieß los! Ich sehe dir an, daß du heute weißt, was du fragen willst.“
    Er nickte. Doch es schien ihm nicht geheuer, gleich damit herauszurücken. Da kam ihm ein rettender Gedanke: „Bevor du für mich hellsiehst, erzähl mir bitte erst, wie du auf das Hellsehen gekommen bist.“
    Tante Thekla nickte. Er konnte aufatmen.
    „Das ist eine lange Geschichte“, begann sie. „Also, das kam so: Als Charlie, dein Onkel gestorben war, nach einem sehr feucht-fröhlichen Abend mit August — die beiden, ich sage dir! Aber das ist ein anderes Kapitel. Ja, da saß ich und fühlte mich doch recht allein. Plötzlich wird mir so komisch und ich denke, da ist doch jemand im Zimmer! Ich sah niemand, aber ich spürte es. Immer deutlicher. Und auf einmal merkte ich, daß er da ist. Nicht greifbar und doch viel stärker. Im ganzen Raum, Charlie!“ sagte ich und schaute dabei zufällig auf die Kristallkugel, die er mir einmal geschenkt hatte, und er sagt: Ja, Thekla. Da bin ich wieder!“ — Er sagt es ohne Stimme, ohne Worte, nur als Schwingung. Und das ist viel deutlicher, da gibt es keine Mißverständnisse , keine Wortverdrehungen wie beim Sprechen. Und dann hat er mir gesagt, daß durch den Kontakt mit ihm die Zeit für mich aufgehoben sei und ich ab sofort die Aufgabe hätte, Winke des Schicksals an die Menschen zu übermitteln, die es mir schickt.
    Ich habe sofort gewußt: Das ist jetzt mein Schicksal! Da gibt es keine Widerrede. ,Und wie erreiche ich dich?’ habe ich ihn in unserer neuen Schwingungssprache gefragt. ,Konzentrier dich auf mich, Thekla!’ hat er geantwortet, und es klappt. Was ich will, bringt er her. Auf diese Weise hab ich meinen Ururgroßvater kennengelernt. Ein lustiger Mann! Hat bei Hegel in Stuttgart studiert. Und in eine frühere Inkarnation von mir selbst, in ein früheres Leben, hat Charlie mich auch versetzt. Stell dir vor, ich war mal Haushälterin bei Goethe. In Frankfurt. Noch mit Ofenheizung. ,Die Welt braucht Phantasie!’ hat er immer gesagt. Eine schöne Zeit. Ja, ich bin weit gereist seitdem, und alles kostenlos. Überhaupt verlasse ich meinen Körper gern. So astral herumschweben und überall hinkönnen, sogar durch Mauern und Berge durch, das ist mein Hobby. Grad vorhin war ich in Südamerika, in Buenos Aires, weil ich in der Gegend vor 1200 Jahren mal gelebt habe. Ja, so einfach geht das. Zwischendurch reden wir auch privat, Charlie und ich, und streiten uns. Dann ist es wie früher. Nur schöner. Es stehen keine Flaschen mehr herum. Dieses Trinken ist eine dumme Sache. Die Leute wollen träumen und werden nur stumpf davon.“ Mit beiden Händen winkte Thekla ab. „Jetzt weißt du’s.“
    Florian kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Doch was er gehört hatte, beruhigte ihn. Bei diesen Möglichkeiten war seine Mathematikaufgabe ein winziger Fisch, und er genierte sich ein wenig, daß er nichts Gewichtigeres wissen wollte.
    „Nun zu dir!“ sagte sie. „Was möchtest du wissen?“
    „Zuerst muß ich doch zahlen“, antwortete Florian, neugierig, die Kassette mit der Spieldose kennenzulernen.
    „Stimmt. Du bist ein richtiger Klient.“ Sie machte eine Handbewegung, der Deckel sprang auf, und die Spieluhr erklang.
    Florian stand auf und legte zehn Pfennige hinein. Auf ein dickes Polster aus lauter Geldscheinen.
    Tante Thekla machte wieder eine Handbewegung, worauf sich der Deckel schloß und die Musik aufhörte. „Warte eine Minute! Dann stell deine Fragen.“ Sie legte die Fingerspitzen an die Schläfen und starrte auf die Kristallkugel.
    Jetzt ist er da, der Moment, wo der Affe ins Wasser springt! sagte sich Florian, holte noch einmal tief Luft und legte los: „Wie geht meine nächste

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