Florian der Geisterseher
hast du gesagt. Nochmals vielen Dank.“ Er hatte die Tür schon erreicht, da durchzuckte ihn ein Gedanke. Wie angewurzelt blieb er stehen. „War das auch nur ein Beispiel, was du gesagt hast, und stimmt gar nicht?“
Ohne Blick kam die Antwort: „Was ich sage, ist so, wie ich es sehe!“
Einem Schlafwandler gleich zog er die Tür zu und ging in die Küche. Agathe sah ihm das seelische Regenwetter sofort an. Florian setzte sich auf die Eckbank und mußte seinem Herzen Luft machen.
Im Radio liefen die 14-Uhr-Nachrichten: Den Entführungsfall habe die Polizei zu einem guten Ende gebracht, hieß es. Das Lösegeld hätten die Gangster nicht bekommen, und der kleine Ralph sei wohlbehalten wieder bei seiner Mutter.
„Toll!“ rief Agathe. „Unsere Polizei!“
Ohne ein Wort darüber zu verlieren, erzählte Florian seine Geschichte.
„Jetzt beruhige dich!“ tröstete Agathe. „Du weißt nur, daß sie früher zurückkommen. Aber nicht, ob in drei Tagen oder erst in drei Wochen.“
„Stimmt“, gab er zu.
„Es könnte ja sein, daß du aus irgendeinem Grund plötzlich froh bist, wenn du früher heim kannst!“ meinte sie weiter. „Solange du nicht weißt, wie’s ausgeht, hat es keinen Sinn, den Kopf hängen zu lassen. Hilf mir lieber beim Abtrocknen. Danach gehen wir zum Waldweiher, damit du auf andere Gedanken kommst. Mir fällt heut auch die Decke auf den Kopf.“
Florian half ihr. Agathe hatte recht, und je besser seine Stimmung wurde, desto schneller ging ihm die Arbeit von der Hand. Ausnahmsweise im Sitzen. Das ungewohnte Reiten hatte ihn ziemlich zusammengestaucht.
Mit Badehose und einem großen Badetuch kam er alsbald die steile Treppe herunter. Agathe wartete bereits am Waldrand. Vergnügt machten sie sich auf den Weg und erreichten zehn Minuten später das Ziel.
„Da vorn.“ Agathe deutete aufs gegenüberliegende Seeufer. „Hier ist es sumpfig.“ Sie ging voraus. An ihrem Stammplatz angekommen, ließ sie den Bademantel auf den Boden fallen. Florian legte sein Badetuch daneben.
„Komm!“ rief sie.
„Okay.“ Als er die Schuhe auszog, lief sie schon ins Wasser. Er folgte mit einem Hechtsprung. „Mensch, ist das warm!“
„Da staunst du!“ freute sich Agathe. „Der See ist mein Geheimtip . Hier hat’s nämlich warme Quellen!“
Florian schwamm zu ihr und sprühte ihr eine Wasserfontäne ins Gesicht.
„Dir gefällt’s wohl?“ frotzelte sie ihn. „Ist ja kein Wunder! Morgens ausschlafen, dann reiten, dann essen, dann schwimmen. Solche Ferien möchte ich auch mal haben!“
„Wer zuerst am Ufer ist!“ rief er. Sie schwammen los. Agathe war irrsinnig schnell. Florian mußte sich anstrengen, um neben ihr zu bleiben.
„Noch mal!“ sagte sie, als beide ungefähr gleichzeitig anschlugen.
„Aber mit Startsprung!“
„Klar.“
Atemlos kletterten sie heraus, stellten sich nebeneinander in Position. Agathe gab das Kommando, sie klatschten in den stillen See und ruderten gewaltig. In der Sumpfecke lief Florian eindeutig als erster auf Grund.
„Du hast ein ganz schönes Tempo drauf!“ lobte sie.
„Klar“, antwortete er. „Für mich als Läufer ist Schwimmen ja auch der Ausgleichssport.“
„Für mich auch.“ Sie kam neben ihn. „Ich stehe den ganzen Tag auf den Beinen.“
Der aufgewühlte Schlamm wurde immer dichter. Florian drehte sich auf den Rücken und schwamm zurück. Agathe folgte seinem Beispiel.
„Wir können jeden Tag herkommen“, sagte sie. „Solang du da bist.“
Sofort sank seine Laune. „Wenn ich wüßte, wie lang das ist!“
„Mach dich nicht selber nervös“, riet sie. „Genieß den Augenblick.“ Und sie stieg aus dem Wasser.
Ärgerlich schnippte Florian mit den Fingern. „Hätte ich Tante nur nicht gefragt! Dabei hab ich sie ja gar nicht gefragt.“ Agathe faßte ihn am Handgelenk. „Jetzt mußt du sie fragen. Erst wenn du weißt, wie’s ausgeht, kriegst du Ruhe!“
Sie schauten einander in die Augen. Bis er wieder lachte. Dann zogen sie sich an und gingen zurück. Doch das Problem ließ ihn nicht mehr los. Florian verkroch sich in sein Zimmer, um ungestört zu kombinieren: Ich muß wissen, wie’s ausgeht, dann werd ich ruhig. Da hat Agathe recht. Moment! Aber nicht, wenn’s schlecht ausgeht. Wenn Tante Thekla mir sagt, daß Vater mich übermorgen holen kommt, werd ich sauer. Also frag ich besser nicht und lasse mich überraschen. Oder ich frag was anderes. Ob ich gut durch die Schule komme. Sagt sie ja, brauch ich mich dann nicht mehr
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