Flossen weg
Strohrum in heißes Fett schütten – ein Spritzer Liebenswürdigkeit auf jeden Liter Galle. Sie waren fünfunddreißig oder fünfundsechzig, mahagonifarben, dürr und zäh vom Leben auf Booten, vom Schnaps, von Fisch und Enttäuschung. Sie waren aus einem guten Dutzend Küstenorten hergekommen, manche in kleinen Booten vom Festland, und hatten vergessen, sich etwas Mut für die Rückreise aufzusparen. Ausgesetzt – wie auf einer einsamen Insel. Mann für Mann, Boot für Boot, Jahr für Jahr – Salz und Suff und Sonne hatten sie so ausgetrocknet, dass sie bereits Staub husteten. Wenn sie hundert Jahre durchhielten, was einigen gelingen konnte, dann würde in einer mondlosen Nacht ein großer Geist mit einer Kapuze auf dem Kopf in den Hafen einschweben und sie zu einer fernen Felseninsel tragen, die auf keiner Karte zu finden war und die kein Mensch mehr als einmal lebend zu Gesicht bekam. Dort würden sie den Zauber des Meeres am Leben halten, verirrte Seeleute ans Ufer locken, ihnen die Körpersäfte aus den Leibern saugen und die vertrockneten Hüllen auf den Felsen liegen lassen, für die Krebse und die schwarzen Möwen. So wurden Meerhexen geboren … aber das ist eine andere Geschich te. Heute zogen sie Clay nur damit auf, dass er zwei Mädchen den Anleger hinunterführte.
»Es ist wie mit Außenbordern, Clay: Man braucht zwei, wenn immer einer laufen soll«, rief Margie, die einmal – nach zehn Mai-Tais – versucht hatte, dem hölzernen Kapitän einen zu blasen, der draußen vor der Tür vom Pioneer Inn stand. Debbie, die eine geheime Quelle für Kleine-Jungs-Pipi hatte, das sie den Schwarzkorallentauchern bei Entzündungen in die Ohren träufelte, sagte: »Gib der Jüngeren die erste Wache, Clay. Lass sie sich ein bisschen ausruhen.«
»Guten Morgen, die Damen«, rief Clay über die Schulter hinweg. Er grinste und lief so puterrot an, dass seine Ohren sogar an Stellen leuchteten, die gar nicht von der Sonne verbrannt waren. In seinen fünfzig Lebensjahren hatte er in allen sieben Meeren getaucht, war von Haien angegriffen worden, hatte Malaria und malaysische Piraten überlebt, war in einer Titankugel acht Kilometer tief in den Tongagraben hinuntergetaucht … und dennoch lief er rot an.
Clair – seit vier Jahren Clays Freundin –, eine vierzigjährige japanisch-hawaiianische Lehrerin, die sich bewegte, als tanzte sie den Hula zu einem Sousa-Marsch (seltsame Mischung aus hoheitsvoller Haltung und milder Brise), grüßte die Nuttessen mit einem lockeren Rückhand-Shaka und sagte grinsend:
»Mädels, sie kommt nur mit, um Wasser auf seine Spulen zu gießen, damit er mir nicht heiß läuft.«
»Oh, Mann, ihr seid immer so verdammt nautisch«, sagte Amy, die sich mit einer riesigen, wasserdichten Kiste abmühte, in der sich der Rebreather befand. Sie rutschte ihr aus der Hand, und das Ding schlug ihr ans Schienbein, bevor sie es abfangen konnte. »Autsch! Verdammt. Ja, ja, alle lieben euren Salzwassercharme.«
Der gackernde Chor vor den Buden erlitt einen gemeinschaftlich keuchenden Hustenanfall. Zurück zu den Katzen, den Hexenkesseln, dem Kokosöl, den heiligen Jimmy-Buffett-Songs, die man um Mitternacht betrunkenen, weißbärtigen Möchtegern-Hemingways ins Ohr säuselte, damit der rumgetränkte Mast nur noch dieses eine, letzte Mal von den Toten auferstand. Die ledernen Bardamen widmeten sich wieder ihrem Gewerbe, als Kona vorüberging.
»Irie, Schwester Amy. Reich mir deine Bürde«, rief Kona und kam den Anleger hinuntergehetzt, um Amy den schweren Rebreather abzunehmen und sich auf die Schulter zu hieven.
Amy rieb ihren Arm. »Danke. Wo ist Nate?«
»Ist rüber zum Tankpier, holt Kaffee für den ganzen Stamm. Ein Löwe, der Mann.«
»Ja, er ist ein Guter. Du fährst heute mit ihm. Ich muss mit Clay und Clair raus, als Sicherung.«
»Schuhe aus an Bord!«, sagte Clay zum hundertsten Mal zu Clair. Sie verdrehte die Augen und kickte ihre Flip-Flops von den Füßen, bevor sie die Always Confused betrat. Sie reichte Clay eine Hand, und er stützte sie, als würde er eine Hofdame des Königs zur Tanzfläche führen.
Kona reichte Clay den Rebreather hinunter. »Ich kann auch tauchen.«
»Du kriegst doch deine Ohren nie mehr frei. Bei den vielen Nasenringen kannst du ja deine Nase überhaupt nicht zukneifen.«
»Die gehen raus. Hier, schon passiert.« Er warf Amy die Ringe zu, aber sie trat schnell einen Schritt zur Seite und ließ sie ins Wasser plumpsen.
»Uups.«
»Amy ist geprüfte
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