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Fluch der 100 Pforten

Fluch der 100 Pforten

Titel: Fluch der 100 Pforten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Wilson
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Hitze. Das Feuer war nicht echt. Eigentlich hatte er sich das schon gedacht. Er packte den Löwenzahn.
    In diesem Moment brach die Welt auseinander. Licht und Lärm umgaben ihn, rissen ihn in die Höhe und schleuderten ihn auf den Rücken.
    Als er auf dem Boden aufschlug, war er bewusstlos.

    Es war Henrietta peinlich, auf allen vieren herumzukriechen und etwas, das sie selbst versteckt hatte, nicht mehr zu finden. Peinlich vor allem auch deswegen, weil Henry mitbekommen hatte, dass sie gelogen hatte, und zu lügen ist immer peinlich. Wobei es noch schlimmer gewesen wäre, wenn er gewusst hätte, was sie sonst noch alles vorgehabt hatte. Sie hatte ihm Großvaters Notizbücher stehlen wollen, bevor er fortging. Und dann, mit dem Schlüssel, den Fächern und den Kompass-Kombinationen aus dem Notizbuch ganz für sich allein, hätte sie gehen können, wohin sie wollte. Natürlich war es schon peinlich genug, den Schlüssel nicht finden zu können. Dass Henry aber dabei saß, durch den Mund atmete und an den Brandnarben in seinem Gesicht herumpulte, machte die Sache noch ein ganzes Stück schlimmer.
    Darum hatte sie ihn angefaucht. Er hatte aufgehört ihr auf die Finger zu gucken, und der Wind hatte sie ein bisschen beruhigt. Den Donner hatte sie schon gehört, aber sie hatte gewusst, dass es kein schweres Gewitter geben würde. Nicht, wenn die Sonne noch unter den Wolken hervor schien.
    Henry war von seinem rostigen Sitz heruntergekommen und hatte sich ins Gras gekniet, aber nicht etwa, um ihr zu helfen. Sondern, um mit Blake zu spielen. Henrietta durchkämmte das Gras vor ihren Füßen, und als sie es auseinanderbog, stieß sie auf die Stelle, die sie gesucht hatte. Die Colaflasche war noch da, bis zum Hals in der Erde vergraben.
    Als Henrietta sie herausriss, begann es zu hageln. Der Bartschlüssel, den sie in eine Plastiktüte gesteckt hatte, lag nur wenige Zentimeter tiefer im Boden. Eilig begann sie ihn mit den Fingern auszugraben.

    »Ich hab ihn!«, rief sie, als sie ihn herauszog und ein paar kleine Erdklumpen in ihren Schoß fielen. Sie wandte sich um. Henry kniete auf dem Boden und streckte eine Hand aus. Er weinte. »Alles okay, Henry?«, fragte sie.
    Schnaubend kam der Raggant durch das hohe Gras herangeprescht. Lichtadern flammten zuckend in den Wolken auf, dann schlug der Blitz ein. Alles ging viel zu schnell, als dass Henrietta hätte sagen können, ob er aus der Erde emporstieg oder vom Himmel herunterfuhr – er leuchtete einfach unmittelbar vor ihr auf und ließ seinen gezackten Strahl zwischen Himmel und Erde zucken. Den Donner hörte Henrietta nicht, er kam über sie wie eine Woge. Dann lag sie auf dem Rücken, taub und geblendet und der Hagel schlug ihr ins Gesicht.
    Sie tastete nach dem Schlüssel, rollte sich auf den Bauch und robbte zu Henry hinüber. Er lag mit angezogenen Beinen und ausgebreiteten Armen im Gras. Neben seinem Kopf hockte der Raggant, der sich selbst mit seinen dunklen Flügeln schützte. Henrietta betrachtete Henry und Panik überfiel sie. Der Blitz hatte ihn doch gar nicht getroffen! Sie war sich ganz sicher, dass er Henry verfehlt hatte! Er war zwar eingeschlagen, aber woanders. Sie hätte doch gesehen, wenn Henry vom Blitz getroffen worden wäre. Henrys Gesicht war totenbleich und starr. Mund und Augen waren weit geöffnet, und seine Pupillen waren kaum noch stecknadelkopfgroß.
    »Henry!«, schrie Henrietta und schlug ihm auf die Wangen. Der Hagel wurde heftiger, wie kleine Steine, die aus einer Wolke prasseln. Sie hinterließen kleine rote Flecken auf
Henrys Haut, schlugen ihm gegen die Lippen und die Zähne und fielen ihm in den Mund.
    »Henry!«, schrie Henrietta noch einmal. Hagelkörner blieben auf seinen aufgerissenen Augen liegen und begannen zu schmelzen. Henrietta nahm einen Flügel des Ragganten, zog ihn über Henrys Gesicht und drückte mit einer Hand auf seine Brust. Erleichterung durchflutete sie, als sie leise pochendes Leben darunter spürte. Aber er musste atmen! Sie fasste ihn an der Schulter, drehte ihn auf die Seite und zog seine Beine gerade. Der Hagel ließ schon etwas nach.
    »Atme, Henry! Oder huste. Egal, mach irgendwas!« Sie klopfte ihm auf den Rücken. Der Blitz konnte ihn nicht getroffen haben! Wenn es so gewesen wäre, hätten seine Schuhe angeschmolzen und seine Haare versengt sein müssen. Und seine Fingerspitzen wären wahrscheinlich aufgeplatzt und verbrannt gewesen. Sie fühlte, wie sich sein Brustkorb hob und richtete sich ein wenig auf.

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