Fluch der Engel: Roman (German Edition)
Anerkennung.
Obwohl das Ritual der Ernennung nicht vorsah, dass der zukünftige Racheengel Venedigs an der Seite eines anderen Racheengels die Basilika betrat, kam Christopher mir entgegen. Wie die anderen Engel des Zirkels trug er einen langen schwarzen Umhang, der ihn größer wirken ließ, als er ohnehin schon war.
»Sehr ungewöhnlich, dein Auftritt«, flüsterte er, während er mit mir durch die sich teilende Menge schritt. »Aber es ist wichtig, dass sie in dir nicht nur ein junges Mädchen sehen, sondern den Racheengel, der du bist – und ziemlich mutig«, fügte Christopher mit einem Lächeln hinzu, das mir den Atem raubte.
Als ich die mit einem purpurfarbenen Umhang bekleidete Dogin in den Reihen ihres schwarzgekleideten Rats entdeckte, wurde mir klar, was er damit meinte. Ihre Augen sprühten Funken. Racheengel,die ihre Gesetze umgingen und Bräuche änderten, standen offenbar nicht auf der Liste ihrer Günstlinge. Doch das war mir egal. Ich hatte nicht vor, mich bei ihr einzuschmeicheln. Sie würde sich mit mir arrangieren müssen – der Rat hatte sie überstimmt und mich zum Racheengel Venedigs gewählt.
Die Zeremonie in der wiederhergerichteten und mit einem neuen Altarstein geschmückten Basilika dauerte eine halbe Ewigkeit. Unter den Augen der Dogin, des Rats und einer unüberschaubaren Engelschar wurde ich von Nagual mit einem nicht enden wollenden Vortrag über meine Rechte und Pflichten als vollwertiges Mitglied in den Zirkel der Racheengel aufgenommen. Danach beteuerten mir die Racheengel ihre Loyalität und ich ihnen meine – was bedeutete, dass zuerst geredet werden musste, bevor gekämpft werden durfte. Und schließlich wurde ich von ihnen der Reihe nach geküsst. Berejide, Magdalena und Daragh hauchten mir einen schnellen Kuss auf die Wange. Daragh schenkte mir dabei sogar ein Lächeln. Christopher ließ es sich natürlich nicht nehmen, mich richtig zu küssen. Dass ich dabei bis über beide Ohren rot wurde, schien er, im Gegensatz zu Nagual, nicht zu bemerken.
Goldauge, der als ehemaliger Hüter der Basilika als Letzter mit dem Küssen dran war, grinste diabolisch, als ich vor ihm stand. Doch anstatt es Christopher gleichzutun, wie ich befürchtet hatte, ließ er seine Lippen nur etwas länger auf meiner Wange liegen, damit er mir ein »Willkommen, kleiner Engel . Mit dir als Hüterin und ihr als Dogin wird es hier sicher sehr interessant werden« ins Ohr raunen konnte. Ich flüsterte »Ich hoffe, du stehst auf meiner Seite« zurück und erhielt ein beruhigendes »Wo sonst?!« als Antwort.
Nach der Aufnahme in den Zirkel der Racheengel folgte meine Ernennung. Falls eine Maus aufgetaucht wäre, hätte jeder ihr Trippeln gehört, so still war es in der überfüllten Basilika, als die Dogin mir den Siegelring überreichte und mich zur Hüterin der Stadt ernannte.
Der Ring wog schwer an meiner Hand, als sie ihn mir überstreifte.Ein geflügelter Löwe, das Wahrzeichen Venedigs, zierte das silberne Schmuckstück. Es diente als Siegelring und zum Wechseln der Welten innerhalb Venedigs. Vielleicht lag es an der Erinnerung, den Siegelring von Sanctifer erhalten zu haben, dass mich sein Gewicht so belastete.
Schließlich krönte mich die Dogin mit einem huldvollen Kuss auf die Stirn. Tosender Jubel erfüllte das Kirchenschiff, als sie mich freigab. Die Zeremonie war zu Ende und ich ziemlich erleichtert, dass es vorbei war. Und während sich die Gäste aufs Büfett stürzten, stürzte ich mich in die Arme meines Racheengels.
»Muss ich hierbleiben?«, fragte ich leise.
»Willst du dich nicht feiern lassen?«, flüsterte Christopher zurück.
»Nein, ich will lieber mit dir allein sein.«
Christopher schenkte mir ein unwiderstehliches Lächeln und bugsierte mich zu Aron.
»Ich möchte deine Schülerin entführen, wenn du nichts dagegen hast«, bat er, zu meiner und Arons Überraschung, um Erlaubnis.
Aron versuchte ernst zu bleiben, was ihm sichtlich schwerfiel. »Da du endlich erkannt hast, dass du bestehende Regeln nicht einfach außer Kraft setzen kannst, Racheengel« – er meinte Christopher – »gestatte ich dir, sie mitzunehmen, wenn du meiner Schülerin zeigst, welche Aufgabe sie erwartet.«
Paul, der zugehört hatte, brach in schallendes Gelächter aus. Ich grinste nur, als ich Aron umarmte und ihm ein »Danke« auf die Wange hauchte. Er schob mich beiseite und zog eine schmale Papierrolle aus der Innentasche seines Festgewands.
»Ein Geschenk zu deiner Ernennung«, sagte er
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