Fluch der Engel: Roman (German Edition)
zu sich um. »Doch nach allem, was du erlebt hast, bist du bereit, diese Aufgabe zu übernehmen. Auch wenn ich mich erst noch an den Gedanken gewöhnen muss, dass du mir den Zutritt zur Basilika verweigern kannst.« Christopher schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. Das warme Smaragdgrün in seinen Augen vertiefte sich. »Ich hatte gehofft, dass du es werden würdest, auch wenn der Vorschlag von Sanctifer stammt.«
Ein Frösteln rieselte durch meinen Körper. Christopher zog mich in seine Arme und vertrieb die düsteren Erinnerungen.
Weder Aron noch Christopher hielten es für eine gute Idee, mich nach Venedig fliegen zu lassen. Also fügte ich mich den Anweisungen meines Tutors – der Aron trotz meiner zukünftigen Position noch ein paar Jahre bleiben würde –, wechselte mit Christopher in die Menschenwelt und nahm den Zug.
Christopher bemühte sich, mir die wesentlichen Dinge des Ernennungsrituals zu erklären, damit ich wusste, was ich wann machen musste, zu welchem Zeitpunkt ich etwas sagen sollte und wann ich etwas bekommen würde. Doch je näher wir der Stadt der Engel kamen, umso nervöser wurde ich.
Schließlich gab Christopher auf und zog mich auf seinen Schoß. »Ich werde die ganze Zeit bei dir sein«, beruhigte er mich. »Hauptsache, du lehnst bei der Zeremonie den Ring nicht ab.«
Der Siegelring, den Sanctifer mir bei meiner Abifeier gegeben und den Aron an sich genommen hatte, symbolisierte die Macht, die den Racheengel Venedigs auszeichnete. Auch wenn er nur für die Stadt und die Lagune verantwortlich war, besaß dieses kleine Gebiet größte Bedeutung. Denn hier, in Venedig, schlug das Herz der Engelswelt.
Nervös lief ich in meinem Apartment von einem Zimmer zum anderen. Doch weder hier drinnen noch draußen auf der Lagune hatte sich etwas verändert – vielleicht stand die Sonne ein wenig höher. Ein wunderschöner, wolkenloser Tag erwartete mich. Abgesehen davon wollte die Dogin mich heute zum Racheengel Venedigs küren. Wenn wenigstens Christopher hier gewesen wäre oder Aron. Doch Christopher war in der Basilika. Und Aron brachte gerade den Siegelring, dessen Wächterbann Coelestin am Morgen erneuert hatte, in den Dogenpalast. Immerhin hatten zwei Puttenengel meine Haare bereits zu einer atemberaubenden Frisur aufgetürmt, und in mein Kleid war ich auch schon geschlüpft. Es war so ausladend wie die Röcke zu Zeiten von Marie Antoinette, mit reichlich Spitzen besetzt – und weiß! Als würde ich nicht zu einer Ernennungszeremonie gehen, sondern zu einer Hochzeit – zu meiner Hochzeit. Wenigstens musste ich keinen Schleier tragen.
Schließlich kam Paul, um mich abzuholen. Er sollte mir helfen, falls ich beim Treppensteigen mit dem Rock Probleme bekam. Dass Paul mich anstarrte, als hätte er mich noch nie gesehen, verkraftete ich ja noch einigermaßen. Als er mir jedoch anbot, die Rolle des Bräutigams zu spielen, ließ ich ihn einfach stehen. Mit meinem Rock kam ich auch ohne ihn zurecht.
Noch bevor er reagieren konnte, öffnete ich die große Fenstertür vor dem Empfangszimmer und trat auf den Balkon. Eine sanfte Brise wehte vom Meer herüber und kühlte mein überhitztes Gesicht. Fast von selbst breiteten sich meine Flügel aus. Paul konnte nur noch zuschauen, wie ich abhob.
Als ich jedoch die vielen Engel entdeckte, die auf der Piazzetta vor dem Dogenpalast warteten, rutschte mir das Herz in den Rockschoß. Mir war klar, dass meine Ernennung nicht still und heimlich erfolgen würde. Aber dass so viele zusehen würden, damit hatte ich nicht gerechnet.
Ich nahm all meinen Mut zusammen – unbemerkt würde ich sowieso nicht bleiben – und entschied, die Basilika als Engel zu betreten. Sie und der Dogenpalast erstrahlten bereits wieder in ihrem alten Glanz. Die Gebäude um die Piazzetta und den Markusplatz dagegen waren von Sanctifers Angriff und der Feuersbrunst noch schwer gezeichnet. Die größte und im Moment einzige Lücke vor der Basilika hatte der fehlende Campanile hinterlassen, und genau darauf steuerte ich zu.
Auf den Überresten des Glockenturms zu landen war nicht einfach. Die losen Ziegelsteine gaben nach. Ich rutschte mit ihnen ein paar Meter weit nach unten – und lächelte dennoch. Schließlich wurde ich beobachtet. Auch von Christopher. Als ich ihn entdeckte, schlug mein Herz gleich dreimal so schnell. Der Blick, mit dem er mich ansah, ließ mich die vielen Engel um mich herum vergessen. Er steckte voller Liebe und Zärtlichkeit, Bewunderung und
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