Fluch der Leidenschaft
gelüftetes Geheimnis kein Geheimnis mehr war. »Ihr sagtet, Ihr würdet mich nach Carrisford mitnehmen«, meinte sie schließlich.
»Das ist ja jetzt wohl nicht mehr möglich.«
Imogen wollte im Grunde nichts mehr, als in diesem Bett liegen zu bleiben und umsorgt zu werden, doch ihr Pflichtgefühl erlaubte es ihr nicht. »Ich kann reiten«, wandte sie ein.
Sie erwartete sofortigen Widerspruch. Niemand hatte der Blume des Westens je erlaubt, sich in Gefahr oder auch nur in Unannehmlichkeiten zu begeben. Darüber hatte sie sich oft geärgert.
Doch er nickte. »Das wird nicht leicht sein, aber wenn Ihr darauf besteht, ist es möglich. Wir sind nicht in allzu großer Eile.«
»Dann«, erklärte Imogen, »werde ich Euch sagen, was Ihr wissen müsst, sobald Ihr es wissen müsst.«
»Was ich wissen muss?«, wiederholte er. Er drehte wieder seinen schweren Ring, stand langsam auf und kam auf sie zu. »Sagtet Ihr nicht, wir sind Verbündete, Lady Imogen?«
Sie drückte sich auf das Kissen zurück und nickte stumm.
»Verbündete sind bei ihrer Ehre verpflichtet, einander zu helfen.« Er stellte einen Fuß auf das Bettgestell und beugte sich über sie. »In jeder Hinsicht.«
Plötzlich fragte er unvermittelt: »Könnt Ihr lesen und schreiben?« Die Frage überraschte sie so, dass es ihr fast die Sprache verschlagen hätte. »Ja.«
»Dann lasse ich Euch Pergament, Feder und Tinte bringen. Zeichnet mir einen Plan der Burg und schreibt alles dazu, was Ihr wisst. Alles.« Er überging ihre Bedenken völlig. »Morgen reiten wir nach Carrisford, Ginger. Wenn Ihr mir irgendwelche nützlichen Informationen vorenthaltet, werde ich sie aus Euch herausprügeln. Und wenn Ihr mich hereinlegt, werde ich Euch eigenhändig strangulieren.«
Sie glaubte ihm jedes Wort. Am liebsten hätte sie sich unter dem Bett verkrochen, doch sie hielt den Kopf hoch und begegnete seinem Blick. »Dann glaubt Ihr mir also jetzt, dass ich die bin, die zu sein ich behaupte?«, fragte sie etwas zaghaft, doch sie war stolz, es überhaupt herausgebracht zu haben.
»Ich sagte, ich würde Euch entsprechend behandeln, bis es widerlegt ist, nicht wahr?«
Er ergriff erneut eine Strähne ihres langen Haars und wickelte sie um seinen Finger. »Wenn Ihr mir etwas vormacht, meine Süße«, sagte er leise, »dann empfehle ich Euch, morgen die erstbeste Gelegenheit zur Flucht zu ergreifen – geschwollene Füße hin oder her.«
Imogen erstarrte.
Er ließ ihr Haar los und richtete sich auf. »Ich lasse mit dem Schreibzeug auch ein Abendessen mit heraufbringen. Gute Nacht.«
Damit war er fort, und Imogen konnte aufatmen und versuchen, ihr hämmerndes Herz zu beruhigen. Ihr Gefühl hatte sie nicht getrogen. Sie hatte sich keinen Jagdhund eingefangen, sondern einen wahrhaftigen Drachen, und sie konnte ebenso als sein Nachtmahl enden wie als seine Geliebte.
Imogen schloss die Augen, doch Tränen quollen daraus hervor. Sie wünschte sich, ihr Vater möge wieder für sie da sein, ihre Tante Constance sie bemuttern und Janine ihr die Haare auskämmen und ihre schönen Kleider und ihren Schmuck für sie bereitlegen. Sie wollte nach Hause, statt allein an einem fremden Ort zu sein und tapfer sein zu müssen.
Aber sie hatte keine Wahl. Sie dachte an die Worte ihres Vaters und spürte den Geschmack der Verbitterung auf den Lippen.
Nach dem einfachen, aber annehmbaren Essen zeichnete Imogen für Bastard FitzRoger einen detaillierten Plan von Carrisford Castle. Sie sagte sich, das tue sie, weil er der Held war, der ihr Zuhause für sie zurückerobern würde. Und sie wusste, dass sie die Zeichnung auch anfertigte, um ihn ihr gegenüber geneigt zu stimmen.
Sie zeichnete sogar die Geheimgänge ein, die hinter den Mauern des großen Saals verliefen, denn wer deren Existenz ahnte, würde sie ohnehin leicht finden, und auch die verborgene Verbindung zwischen ihnen und den tiefer gelegenen Gängen.
Diese tieferen Gänge und den Eingang, zu dem sie führten, zeichnete sie trotz ihrer Angst jedoch nicht ein.
Schließlich war es möglich, dass Warbrick Carrisford aufgegeben hatte, sobald er festgestellt hatte, dass sie sich dort nicht aufhielt. Es wäre töricht gewesen, die Familiengeheimnisse preiszugeben, wenn es nicht unbedingt notwendig war.
Dennoch kaute sie nervös an dem Federkiel und fragte sich, was FitzRoger tun würde, wenn er bemerkte, dass sie die meisten Geheimgänge nicht eingezeichnet hatte.
Natürlich würde er sie nicht auspeitschen.
Aber er war auch kein
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