Fluch der Leidenschaft
Mann, der sich mit leeren Drohungen begnügte …
Unter anderen Umständen hätten die Furcht vor ihrem Paladin und die Verwirrung, die sein Wesen in ihr hervorrief, Imogen vom Schlaf abgehalten – von dem ungewohnten Wanst und ihren wunden Füßen ganz zu schweigen –, doch die Erschöpfung war stärker. Sie schlief tief und traumlos und die Magd hatte bei Tagesanbruch Mühe, sie zu wecken.
Als Erstes bemerkte sie, dass sich ihr Zustand verschlechtert hatte. Ihr ganzer Körper schmerzte, und die Wunden an ihren Füßen vertrugen nicht die leiseste Berührung. Sie dachte kurz daran, es sich anders zu überlegen und ganz behaglich in Cleeve zu bleiben, bis ihr Zuhause wieder gesichert war, doch das konnte sie nicht. Sie war Imogen von Carrisford, und die Pflicht rief sie. Wenn sie FitzRoger nicht begleitete, wenn sie nicht ihre Interessen und die ihrer Leute vertrat, würde er in jeder Hinsicht vollkommen freie Hand haben.
Aber selbst mit der Hilfe zweier Frauen bereitete ihr schon das Anziehen große Mühe. Nach einem Frühstück aus Brot, kaltem Schweinefleisch und Ale, während dem ihr Haar zu zwei dicken Zöpfen geflochten wurde, fühlte sie sich jedoch schon besser. Dadurch, dass sie sich bewegte, war die anfängliche Steifheit ihres Körpers bald verschwunden, und der Gedanke, dass ihr Zuhause bald wieder ihr gehören würde, gab ihr Kraft.
Die Kleidung, die man ihr gebracht hatte, war einfach und bestand aus schlichtem Leinen und Wolle, aber sie war sauber und farbenfroh, sehr im Gegensatz zu den Lumpen, die sie während ihrer Flucht getragen hatte. Die Frauen brachten auch ein Paar große Schuhe, die über ihre Verbände gepasst hätten, doch sie verursachten Schmerzen, und nach einem zaghaften Versuch, sich auf die Füße zu stellen, merkte Imogen, dass Bruder Patricks Rat, das sein zu lassen, klug gewesen war. Schon das geringste Gewicht war marternd. Aber wenn sie nicht stehen und erst recht nicht laufen konnte, dann brauchte sie auch keine Schuhe.
Eine der Frauen wagte zu protestieren. »Ihr solltet heute nirgendwohin gehen, Lady. Bleibt besser hier bei uns, und lasst den Herrn alles regeln.«
Imogen knirschte mit den Zähnen. »Reiten kann ich.«
Sobald sie reisefertig war, holte eine der Frauen jemanden, um sie zu tragen. Imogen machte sich auf die nächste Begegnung mit FitzRoger gefasst.
Es war jedoch ein Fremder, der den Raum betrat, ein gut aussehender, junger Mann hohen Ranges, der bereits seine Rüstung trug, aber noch keinen Helm. »Lady Imogen«, sagte er mit einer Verbeugung, »ich bin Renald de Lisle und habe die Ehre, Euch zu Eurem Pferd zu tragen.« Seine ausdrucksvollen dunklen Augen leuchteten, als habe er gegen die Horden der Finsternis gekämpft, um dieses Privileg zu erringen.
Er war eindeutig ein Franzose, kein Normanne. Das zeigte sich in seiner Art zu sprechen ebenso wie in seinem Benehmen. Angesichts seiner unverhüllten Freude über die Aufgabe, sie zu tragen, musste Imogen lächeln. Warum konnten nicht alle Männer so entgegenkommend sein?
Renald de Lisle war nicht ganz so groß wie FitzRoger, doch kräftiger gebaut, mit starken Schultern und einer breiten Brust. Er hob sie mühelos auf seine Arme, und sie ließ sich behaglich an seine gepanzerte Brust sinken. Ihr fiel auf, dass ihr bei ihm nicht schwindlig wurde, obwohl er FitzRoger an Stärke nicht nachstand.
Aber das bewies wohl nur, dass dieses Schwindelgefühl eindeutig durch Erschöpfung und Hunger entstanden war.
Sir Renald duftete leicht nach Kräutern, oder vielleicht war es auch seine Kleidung. Sie versuchte, sich daran zu erinnern, wonach FitzRoger gerochen hatte. Aber gestern hatte ihr eigener Gestank wahrscheinlich jeden anderen Geruch überdeckt. Einem Mann zum ersten Mal in einer solchen Aufmachung zu begegnen!, dachte sie bedauernd. Wahrscheinlich würde er den Anblick nie vergessen, wie sie in ihren schmutzigen Lumpen vor ihm stand, allem Anschein nach hochschwanger und halb verkrüppelt.
Sir Renald lenkte sie von ihren Gedanken ab. »Was für eine wunderbare Aufgabe«, sagte er fröhlich. »Ich habe meinem Waffenbruder sehr dafür gedankt, dass er mich zu seinem Stellvertreter ernannte.«
»Meint Ihr damit FitzRoger?«
»Ja. Wir sind Herzensbrüder, Demoiselle. Wir waren zusammen arm, als wir uns als Söldner verdingten. Wir gelobten einander, wenn wir reich würden, dann zusammen. Und nun sind wir hier.«
Die Wärme in seiner Stimme überraschte Imogen. Wie sonderbar, sich vorzustellen, dass der
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