Fluch der Leidenschaft
kalte FitzRoger überhaupt einen Freund haben konnte, und dann auch noch einen wie diesen. Sir Renald trug sie aus dem Wohnturm, und sie genoss den frischen, sonnigen Morgen und die leichte Brise. Ein guter Tag für einen Sieg.
»Und was tut Ihr für den Lord von Cleeve, Sir Renald?«, fragte sie auf dem Weg hinunter in den belebten, lauten Burghof.
»Zurzeit bin ich sein Waffenmeister und helfe ihm, aus diesen Faulpelzen, die ihm sein Bruder hinterlassen hat, Soldaten zu machen. Eines Tages, wenn er noch reicher ist, wird er mir eigenes Land geben. Ich bin zufrieden – ich habe zu essen, ein Dach über dem Kopf, feine Kleider und genügend Kämpfe, damit mir nie langweilig wird. Ich fühle mich wie im Paradies.«
Sie kamen an dem blutbesudelten Schandpfahl vorüber. Der Anblick brachte Imogen wieder die Bilder vom Vortag in Erinnerung; sie sah, wie FitzRoger, der Bastard, die Peitsche schwang, und hörte die Männer schreien. Und ihr einziges Verbrechen war gewesen, dass sie ein wenig zu viel getrunken hatten.
Imogen schauderte. Wie im Paradies? Nur die ungehobeltste Sorte Mann konnte Castle Cleeve als Paradies empfinden. Sollten diese Krieger einfach ihre Burg zurückerobern – zu etwas anderem taugten sie nicht –, und dann würde sie sich einen sensiblen, zivilisierten Gemahl suchen, einen wie Gerald von Huntwich.
Anstatt auf einem eigenen Pferd sollte Imogen mit einem leichten Damensattel hinter einem kräftigen Soldaten mittleren Alters reiten. Er teilte ihr mit rauer Stimme mit, sein Name sei Bert, und es war klar, dass er über die ihm zugedachte Rolle nicht sonderlich glücklich war. Auch Imogen war nicht gerade angetan von dieser Lösung, doch sie merkte sehr bald, dass es für sie schwer gewesen wäre, in ihrem Zustand ein Pferd zu lenken. An Steigbügel etwa wäre nicht zu denken gewesen.
Doch seitlich auf dem Damensattel zu sitzen verursachte ihr keine Schmerzen. Sie hielt sich an Berts Ledergürtel fest und überließ alles Weitere ihm.
Sir Renald küsste galant ihre Hand, bevor er auf sein graues Streitross aufsaß. FitzRoger ritt ohne Kopfbedeckung an ihr vorüber, gefolgt von seinem Knappen mit Schild und Helm.
Dann nahm er seine Streitmacht genau in Augenschein, und ohne Zögern oder Eile wanderte sein Blick auch über Imogen, die sich unwillkürlich vorstellte, wie er gedanklich registrierte: »… eine Erbin, zu Pferd …«
Sie setzten sich in einem gleichmäßigen Tempo in Bewegung, bei dem sie Imogens Schätzung nach am späten Nachmittag Carrisford erreichen würden.
Es war ein wunderbarer Tag, und da sie nicht einmal das Pferd lenken musste, genoss sie die Reise wie einen Ausritt zum Vergnügen. Die zu Castle Cleeve gehörenden Ländereien schienen gute Erträge erbracht zu haben, und auf den Wiesen standen wohlgenährte Rinder. Allerdings lag ein großer Teil des Landes brach. Sie hatte gehört, FitzRogers Bruder Hugh sei kein guter Lord gewesen; womöglich war dies also ihm zuzuschreiben.
Die Menschen waren mit dem Einbringen der letzten Ernte beschäftigt. Sie schauten von der Arbeit auf und beobachteten, wie ihr Lord vorbeiritt. Es gab keine Freudenrufe, wie es bei Lord Bernard immer der Fall gewesen war, aber auch keinen Unmut oder Verdrossenheit. Es war, als würden sie sich wie ihr Herr verhalten und kühl bleiben.
Gelegentlich entfernte sich FitzRoger von dem Trupp, um mit jemandem zu sprechen oder etwas zu inspizieren. Immer muss er kontrollieren, dachte Imogen mürrisch. Nichts durfte seinen wachsamen grünen Augen entgehen.
Ihr Vater war ein guter Lord und bei seinen Untertanen sehr beliebt gewesen. Sie glaubte nicht, dass man dies auch über FitzRoger sagen konnte, aber das war auch keine große Überraschung. Wer mochte schon einen so harten Mann? Doch sie bemerkte, dass er sehr wohl respektiert wurde. Imogen dachte, es sagte viel aus, dass alle ihn als »den Herrn« bezeichneten. Die Disziplin unter seinen Männern war eisern, aber dennoch sangen sie beim Reiten, und jegliches Brummen oder Grollen hatte einen humorvollen Unterton.
Verärgert beschloss Imogen, die Fixierung auf ihren Paladin – ihren Helden – zu unterdrücken. Er war für sie schließlich nicht mehr als ein Werkzeug.
Sie würde ihm helfen, Carrisford einzunehmen, ihm wenn nötig sogar den geheimen Eingang zeigen, und dann ihr Zuhause wieder herrichten und sicher machen. Natürlich sollte ihm für seine Hilfe eine angemessene Belohnung zukommen, und damit hätte alles sein Bewenden. Und sie
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