Fluch der Nacht: Roman
hatte diese Worte schon einmal gehört. Von einer verzweifelt flehenden Männerstimme. Xavier drehte sich nach Razvan um; seine silbrigen Augen glitzerten vor Verachtung und Triumph ... Lara zog scharf den Atem ein, ihr schockierter Blick suchte Nicolas, ihren einzigen Anker, als die Wahrheit sie ansprang und ihr das Herz zerriss.
Nicolas – er hat es für mich getan. Er hat Xavier erlaubt, seinen Körper zu benutzen, damit ich am Leben bleiben durfte.
Razvan hatte Xavier versehentlich sein Innerstes geöffnet, als er versucht hatte, das Leben seines Kindes zu retten. Er hatte ihm seine Seele offenbart, und Xavier hatte sie, ohne Energie aufwenden zu müssen, ergriffen, um seinen Enkelsohn beherrschen zu können wie eine Marionette. Für sie, Lara, hatte Razvan sich ihm angeboten. Um sie zu retten. Und dafür hatte er den höchsten Preis bezahlt – nicht den Tod, aber die völlige Zerstörung seiner Seele.
»Nicolas!« Lara rief nach ihm und schlug die Hände vors Gesicht, weil sie im Geist wieder in die Vergangenheit zurückfiel.
»Ich bin hier, fél ku kuuluaak sívam belsó, und ich werde nirgendwohin gehen.«
»Sie ist zu schnell zurückgekommen«, sagte Francesca und schob sich an Mikhail vorbei, um sich neben Lara hinzuknien und sie in die Arme zu nehmen. »Sie friert. Ich brauche Hilfe, Gregori.«
»Sie ist wieder in der Eishöhle«, erklärte Nicolas. Auch er war bereits da, nahm Lara Francesca ab und drückte sie an sich, während er seinen Geist mit ihrem verband, um sie zu beruhigen. Leise sprach er auf sie ein und wiegte sie in seinen Armen wie ein Kind. »Sie hätte nicht ohne mich dorthin gehen dürfen.«
»Was hat sie denn getan?«, wollte Gregori wissen, als er sich neben Francesca hockte, um Lara zu untersuchen. Seine Hände glitten über sie.
»Sie hat den Köder gespielt. Dieses ›Ding‹, wie wir es nennen, tötet Babys, und deshalb ist sie selbst wieder zum Kind geworden – damit es ihr folgte«, erklärte Natalya.
Nicolas fluchte unterdrückt. »Sie hätte nicht ohne mich in die Vergangenheit zurückkehren dürfen«, wiederholte er.
»Sie fürchtet mich«, sagte Gregori abrupt. »Du musst sie dazu bringen, mit mir zurückzukehren, um zu holen, was verloren ging.«
Nicolas blickte Gregori einen Moment lang prüfend ins Gesicht, dann nickte er.
Der mächtige karpatianische Heiler hockte sich noch näher neben Lara und sah ihr in die Augen. Er nickte und gab Francesca leise Anweisungen, die daraufhin wieder ihren Platz vor der Trommel einnahm.
»Sie muss sich sicher und geliebt fühlen, Nicolas«, sagte Gregori. »Bring sie in die Mitte des Kreises und halte sie, damit sie deine Nähe spürt. Lass die geistige Verbindung zu ihr weiter bestehen. Ein Teil von ihr ist so gestresst von den schmerzlichen Entdeckungen in ihrer Vergangenheit, dass sie außerstande ist, mit noch mehr Erinnerungen umzugehen. Wir müssen diesen Teil von ihr einladen zurückzukehren, und es muss sich sicher für sie anfühlen, es zu tun.«
»Einladen?«, echote Nicolas.
Gregori zuckte die Schultern. »Keine Sorge, ich werde zurückholen, was sie verloren hat. Wir können nicht riskieren, auch nur einen kleinen Teil ihrer Seele zu lange im Schattenreich zurückzulassen. Falls Xavier noch am Leben ist, wird er sie dort spüren, und so wie Lara seine Schlechtigkeit aufspürt, wird er auch einen Teil von ihr an sich reißen können.«
Noch mehr Salbei und Gras wurden auf die heißen Felsbrocken gelegt, und die Frauen begannen wieder mit dem heilenden Gesang, der längeren Version diesmal, die oft dazu benutzt wurde, die Seele eines Verstorbenen zurückzuholen. Nicolas merkte, wie furchtbar angespannt er war und wie sich ihm vor Nervosität der Magen verkrampfte. Lieber würde er einem Dutzend kampferprobter Vampire gegenübertreten, als sich darauf verlassen zu müssen, dass jemand anderes als er selbst Lara half.
Ich bin ein Heiler und kann trotzdem weder meinen eigenen Kindern noch meiner Seelengefährtin helfen.
Nicolas akzeptierte Gregoris kurze Feststellung als Entschuldigung. Und er verstand nun auch, was einen Mann so in Rage bringen konnte. Machtlosigkeit. Ohnmacht. Die Unfähigkeit, die Seinen zu verteidigen ...
Er senkte den Kopf und strich mit den Lippen über Laras kalte Stirn. Sie zitterte noch immer, aber sie war sich seiner immerhin bewusst. Ihr Blick hing an seinem, und er war froh über das Vertrauen, das er darin sah.
Gregori verlor keine Zeit. Sowie er seinen physischen Körper abgelegt
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