Fluch der Nacht: Roman
überlassen. »Lass uns gehen, Nicolas! Ich möchte meine Tante kennenlernen.«
»Möchtest du versuchen, die Gestalt zu wechseln und beispielsweise die einer Eule anzunehmen?«
Erfreut blickte sie zu ihm auf. Er hatte gesagt, mit seiner Hilfe könne sie sich verwandeln, und sie wünschte sich nichts mehr, als dass es stimmte. Auf jeden Fall war sie bereit, es zu versuchen. »Oder in einen Drachen?«, fragte sie.
Er nickte lachend. »Aber ja. Was hättest du auch anderes wählen sollen?«, erwiderte er mit einem übermütigen Grinsen, wie sie es noch nie bei ihm gesehen hatte. Es ließ ihn jünger und nicht so streng erscheinen. »Der Drachenkörper ist dir ja schon vertraut. Das Wichtigste beim Gestaltwandeln ist ...« Er reichte ihr die Hand und begann, mit ihr durch die Höhle auf das Labyrinth von Tunneln zuzugehen, in denen sich Kerzen entzündeten, während sie durch die Gänge eilten. »... das Bild deiner anderen Gestalt fortwährend im Kopf zu haben. Es muss etwas so Automatisches werden, dass du es tust, ohne darüber nachzudenken, und das erfordert Übung. Du musst deinen Geist die ganze Zeit mit meinem verschmolzen lassen. Sowie du dich verwandelst, stellen sich Freude und Erregung ein – ich könnte dir nicht einmal annähernd beschreiben, was für ein Gefühl das ist! -, und dann ist es leicht zu vergessen, was du tust. Also bleib fest mit meinem Geist verbunden, damit ich dir im Notfall helfen kann.«
Sie lächelte zu ihm auf. »Keine Bange, ich will ja schließlich auch nicht aus dem Himmel fallen.«
Nicolas lachte leise und war selbst schockiert darüber. Er war kein Mann, der viel lachte, aber langsam begann er zu entdecken, wie viel Freude Lara mit ihrer Gesellschaft in sein Leben brachte. Er nahm ihre Hand noch fester in die seine und hielt sie an seiner Seite, als sie durch den Tunnel eilten. »Ich habe nicht bemerkt, dass du dich hin und wieder nach Vampiren umschaust. Zum Überleben ist es aber dringend nötig, dass du dir das zur Gewohnheit machst.«
»Ist das heutzutage nicht ein ziemlich fehlerhaftes, veraltetes System?«
»Du hattest die Information also schon aus meinem Kopf«, erklärte er mit erhobener Augenbraue. Aber er war sehr zufrieden mit ihr. Bei allem, was vorging, wäre er nicht auf die Idee gekommen, dass sie, wenn sie geistig miteinander verbunden waren, so viel Information wie möglich in ihm suchen würde, die ihr für ihr eigenes Überleben wichtig war.
»Natürlich. Du scheinst ja schließlich viel Erfahrung in der Jagd auf Vampire zu haben.«
Da seine Kindheitsgeschichten sie interessierten, hatte sie noch ein bisschen tiefer gegraben, um zu sehen, ob Nicolas den Kampf mit den Untoten auch heute noch begrüßte. War es ein Nervenkitzel für ihn, das Kämpfen? Und das Töten? Sie hatte die Antwort darauf gefunden und war beunruhigt, aber sie fand es auch sehr faszinierend, dass er überhaupt keine Furcht verspürte, wenn er kämpfte. Sie hatte ihr ganzes Leben in Furcht verbracht, sich immer umgeblickt und Angst gehabt, dass andere ihr Anderssein bemerken und sie dafür verurteilen würden, oder, was das Allerschlimmste wäre, dass Xavier sie finden würde. Wie gern wäre sie wie Nicolas, der sich völlig ohne Furcht dem Schlimmsten stellen konnte!
»Nicht alle karpatianischen Männer wurden zu Jägern erzogen. In den alten Zeiten waren wir eine richtige Gemeinde, und viele unserer Männer waren Handwerker. Die einen arbeiteten mit Holz und Edelsteinen, andere mit Kräutern und Kerzen, um unsere Heilkräfte weiterzuentwickeln, und wieder andere waren Schwertmacher, die unglaublich gute und schöne Waffen herstellten. In meiner Familie wurden die Männer zu Kriegern ausgebildet. Viele der Fähigkeiten unserer Vorfahren haben sich uns unauslöschlich eingeprägt. Also hat man, wenn man aus einer Familie von Kriegern stammt, schon gewissermaßen angeborene Fertigkeiten und Talente. Mit anderen Worten, man hat schon einen Vorteil, bevor man überhaupt mit seiner Ausbildung beginnt. Natürlich haben auch Tischler, Juweliere oder Schwertmacher angeborene Fähigkeiten, doch die haben im Kampf nicht den geringsten Nutzen.«
Ein kleiner Wasserlauf kreuzte ihren Weg, und ohne langsamer zu werden, packte Nicolas Lara um die Taille, hob sie darüber hinweg und ging weiter, als hätte nichts sie unterbrochen.
Als der freudige Schreck über die Kraft in seinen Armen nachließ, schob sie ihre Hand wieder in die seine. »Und die Finsternis in dir? Woher kommt die?«
»Macht
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