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Fluch, Der: Roman

Fluch, Der: Roman

Titel: Fluch, Der: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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bringt es auf die Welt wie ein Kind. Es wächst nur schneller und kräftiger als ein Kind. Und man kann es nicht töten, denn man kann es nicht sehen - man kann nur sehen, was es tut.«
    Die Daumen entspannten sich. Der Spalt schloß sich. Ein dunkelroter Bach rieselte über die leicht gewellte Tortenoberfläche.
    »Dieser Fluch ... du dekent feit o gard da borg. Sei zu ihm wie ein Vater. Willst du ihn immer noch loswerden?«
    Halleck nickte.
    »Glaubst du immer noch an den Puush?«
    »Ja.« Es war nur ein Krächzen.
    Der alte Zigeuner mit der abfaulenden Nase lächelte. Die dunklen Linien der Fäulnis dehnten sich und zitterten auf seiner Wange. Der Park hatte sich geleert. Die Sonne neigte sich zum Horizont. Die Schatten bedeckten sie jetzt ganz.
    Plötzlich hielt er wieder das Taschenmesser mit offener Klinge in seiner Hand.
    Er wird mich erstechen, dachte Billy verträumt. Er wird mir ins Herz stechen und dann mit der Torte unterm Arm wegrennen.
    »Nimm den Verband ab«, forderte Lemke ihn auf.
    Billy sah auf seine Hand hinunter.
    »Ja - da, wo sie dich durchschossen hat.«
    Billy entfernte die Klammern von der elastischen Binde und wickelte sie langsam ab. Seine Haut darunter war viel zu weiß - wie Fischfleisch. Im Kontrast dazu waren die Wundränder tiefrot. Die Farbe einer Leber. Dieselbe Farbe wie diese Dinger da in der Torte, dachte er verwundert. Die Erdbeeren, oder was immer es ist. Die Wunde hatte ihre fast vollendete Kreisform verloren. Die Ränder hatten sich zusammenge-zogen. Es sah jetzt fast genau so aus, wie...
    Wie der Spalt, dachte Billy und ließ den Blick wieder zur Torte schweifen.
    Lemke reichte ihm das Messer.
    Wie soll ich wissen, ob du die Klinge nicht mit Kurare oder Zyanid oder Rattengift behandelt hast? wollte er ihn schon fragen, aber dann unterließ er es. Der Grund war Ginelli. Ginelli und der Fluch des weißen Mannes aus der Stadt.
    Der abgegriffene Handgriff des Messers paßte genau in seine Handfläche.
     
    »Wenn du das purpurfargade ansiktet los sein willst, mußt du es zuerst in diese Torte stecken ... und dann mußt du die Torte mit dem Fluchkind jemand anderem zu essen geben.
    Aber das muß bald geschehen, sonst kommt es doppelt auf dich zurück. Verstehst du mich?«
    »Ja«, sagte Billy.
    »Dann tu's, wenn du's willst.« Lemkes Daumen spannten sich wieder. Der dunkle Spalt in der Tortenkruste öffnete sich.
    Billy zögerte, aber nur eine Sekunde lang. Dann sah er das Bild seiner Tochter vor sich, sah sie mit aller Deutlichkeit wie eine Fotografie, auf der sie ihm über die Schulter zulächelte, ihre lila-weißen Cheerleader-Pompons in den Händen wie große, dämliche Früchte.
    Du hast unrecht mit dem Push, alter Mann, dachte er. Heidi für Linda. Meine Frau für meine Tochter. Das ist der eigentliche Push.
    Er stieß die Klinge von Taduz Lemkes Taschenmesser in die Wunde in seiner Handfläche. Der Schorf brach ganz leicht auf. Blut lief in den Spalt der Torte. Dumpf bemerkte er, daß Lemke sehr schnell in Romani sprach. Seine schwarzen Augen verließen Billys weißes, mageres Gesicht keine Sekunde.
    Billy drehte das Messer in der Wunde und beobachtete, wie die geschwollenen Ränder sich teilten und ihre frühere Kreisform wieder annahmen. Das Blut floß jetzt schneller. Er spürte keinen Schmerz.
    »Enkeltl Es ist genug.«
    Lemke nahm ihm das Messer aus der Hand. Plötzlich spürte Billy überhaupt keine Kraft mehr. Er fiel rückwärts an die Lehne der Parkbank. Eine Welle von Übelkeit überspülte ihn. Er glaubte, er würde das Bewußtsein verlieren. Er fühlte sich vollkommen leer, erbärmlich – so muß eine Frau sich fühlen, die gerade ein Kind geboren hat, dachte er. Er blickte auf seine Hand hinunter und stellte fest, daß das Bluten aufgehört hatte.
    Nein – das ist doch nicht möglich.
    Dann sah er auf die Torte in Lemkes Schoß und entdeckte noch etwas, das unmöglich war – nur, daß es direkt unter seinen Augen geschah. Der alte Mann ließ die Platte los, und der Spalt schloß sich wieder... und dann gab es einfach keinen Spalt mehr. Die Kruste war völlig unversehrt bis auf zwei winzige Luftlöcher genau in der Mitte. Da, wo vorher der Spalt gewesen war, zeichnete sich eine fast unsichtbare Zickzacklinie auf der Kruste ab.
    Wieder sah er auf seine Hand, und das Blut, der Schorf, das offene Fleisch waren verschwunden. Die Wunde war vollkommen verheilt und hatte nur eine Narbe zurückgelassen - eine kleine, weiße Zickzacklinie, die sich mit seiner

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