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Fluch, Der: Roman

Fluch, Der: Roman

Titel: Fluch, Der: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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doch dann bekam er plötzlich Heißhunger. Zum erstenmal seit mehr als einer Woche schien er wieder so etwas wie Appetit zu haben.
    Sein aufgeregtes Herz schien sich auch wieder zu beruhigen und seinen alten, normalen Rhythmus wiederzufinden ... aber das konnte auch nur seine Einbildung sein, die ihm etwas vorgaukelte.
    »Besser?« fragte Ginelli.
    »Viel. Wann kommen wir zum Park?«
    Ginelli fuhr den Wagen an den Randstein. Am Straßenschild erkannte Billy, daß sie sich an der Ecke Union Street West Broadway befanden. Im vollen Sommerlaub der Bäume raschelte eine milde Abendbrise. Gesprenkelte Schatten bewegten sich lässig über den Asphalt.
    »Wir sind da«, antwortete Ginelli schlicht. Billy spürte, wie ihm ein eiskalter Finger über die Wirbelsäule fuhr. »Jedenfalls sind wir so nahe dran wie ich es will. Ich hätte dich ja lieber in der Stadt abgesetzt, aber du hättest eine Wahnsinnsaufregung verursacht, wenn du hergelaufen wärst.«
    »Ja, ja«, sagte Billy. »All die Kinder, die in Ohnmacht gefallen wären, und all die Frauen, die sofort eine Fehlgeburt gekriegt hätten.«
    »Du hättest es sowieso nicht geschafft«, beschwichtigte Ginelli ihn freundlich. »Ist ja auch egal. Der Park ist gleich da unten am Fuß des Hügels. Nur eine Viertelmeile. Such dir eine Bank im Schatten und warte dort.«
    »Und wo wirst du sein?«
    »Ich werde da sein.« Ginelli lächelte. »Ich werde dich beobachten, aber vor allem werde ich nach dem Mädchen Ausschau halten. Wenn sie mich noch einmal sieht, bevor ich sie entdeckt habe, William, brauche ich mir nie wieder das Hemd zu wechseln, verstehst du?«
    »Ja.«
    »Ich werde dich im Auge behalten.«
    »Danke«, sagte Billy, wobei er nicht sicher war, wie oder wie sehr er es meinte. Er empfand Dankbarkeit für Ginelli, aber es war ein kompliziertes, seltsames Gefühl, wie der Haß, den er auf Michael Houston und auf seine Frau in sich trug.
    »Por nada«, antwortete Ginelli und zuckte die Achseln. Er beugte sich über den Sitz, umarmte Billy und küßte ihn fest auf beide Wangen. »Bleib hart mit dem alten Bastard, William.«
    Billy lächelte. »Das werde ich«, versprach er und stieg aus dem Wagen. Der zerbeulte Nova fuhr los, und Billy sah ihm nach, bis er um die nächste Häuserecke gebogen war. Dann ging er langsam den Hügel hinunter, das Apfelsinennetz in einer Hand hin und her schwingend.
    Er bemerkte den kleinen Jungen kaum, der ihm auf halbem Weg entgegengekommen war, sich abrupt umdrehte, über den nächsten Gartenzaun sprang und durch den Hinterhof des Häuserblocks da vonschoß. Dieser kleine Kerl sollte in dieser Nacht schreiend aus einem Alptraum hochfahren, in welchem sich eine über die Straße schlurfende Vogelscheuche mit stumpfen Haaren auf dem Totenschädel über ihn gebeugt hatte. Seine den Flur zu seinem Zimmer entlanghastende Mutter hörte ihn weinen: »Er wollte, daß ich die Apfelsinen esse bis ich sterbe! Apfelsinen esse, bis ich sterbe! Essen, bis ich sterbe! «
    Der Park war weitläufig, schattig und schön. Eine Horde Kinder spielte auf einem Abenteuerspielplatz, wippte auf den Wippen, rutschte die Rutschen hinunter, ließ sich von den Klettergerüsten herunterbaumeln. Weiter hinten auf einer Wiese war ein Softballspiel im Gange – Jungen gegen Mädchen, wie es aussah. Dazwischen spazierten die Leute in der Abendsonne, ließen Drachen steigen, Frisbees durch die Luft segeln, aßen Kartoffelchips, tranken Cola, schlürften Milkshakes. Es war eine typisch amerikanische Mittsommerfeierabend-Szenerie in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, und einen Augenblick lang erwärmte sich Billys Herz dafür - für sie.
    Alks, was hier noch fehlt, sind die Zigeuner, flüsterte eine innere Stimme ihm zu, und wieder lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken, kalt genug, um ihm eine Gänsehaut auf die Arme zu jagen. Abrupt verschränkte er sie über seiner spindeldürren Brust. Die Zigeuner sollten hier sein, nicht wahr?
    Ihre alten Kombiwagen mit den Wiedergutmachungsaufklebern an den rostigen Stoßstangen, ihre Wohnwagen, ihre Lastwagen mit den Wandbildern an den Seiten – und dann Samuel Lemke mit seinen Jonglierkegeln und Gina mit ihrer Schleuder. Alle kamen sie angerannt. Sie kamen immer angerannt, wenn die Zigeuner da waren. Um ihnen beim Jonglieren zuzusehen, die Schleuder selbst mal auszuprobieren, ihre Zukunft zu hören, eine Salbe oder ein Pülperchen zu kaufen, um ein Mädchen aufs Kreuz zu legen –  oder wenigstens davon zu

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